Religion

Zieht nicht für eine unbekannte Sache in den Krieg

Der Theologieprofessor Xhabir Hamiti ruft die Kosovaren auf, nicht für eine unbekannte Sache in den Krieg zu ziehen. Er sagt, Personen, die das Ansehen von Gjergj Kastriot beschmutzen, seien dem albanischen Volk nicht gutgesinnt und stehen unter dem Einfluss gewisser antinationaler Kreise

Soziale Probleme führten dazu, dass extremistische Gruppen auch in der Balkanregion heimisch wurden, und es besteht die permanente Gefahr, dass auch junge Kosovaren in diese Gruppen rekrutiert werden.

Dieser Ansicht ist der Professor der Theologie, Xhabir Hamiti, der die Kosovaren auffordert, nicht für eine unbekannte Sache in den Krieg zu ziehen. “Unsere Töchter und Söhne sollen nicht betrogen und dazu verführt werden, sich für eine unbekannte Sache zu opfern”, erklärte Hamiti im Gespräch mit albinfo.ch.

Der islamische Glauben ist laut ihm als eine Religion des Friedens konzipiert, und kennt keinen Extremismus.

Hamiti spricht im Interview auch über andere Probleme, die sich Kosova und der Region stellen, insbesondere seit sich hier Extremismus zu verbreiten begonnen hat.

Albinfo.ch: Herr Hamiti, der religiöse Extremismus in Kosovo und im Balkan wird immer ausgeprägter. Weshalb kommt es dazu?

Hamiti: Der Glaube, der aus dem gesunden Konzept des Glaubens an Gott entsteht, kennt weder Extremismus noch Radikalismus. Der Extremismus, beziehungsweise die blinde Form der religiösen Interpretation und vulgäre und unangemessene Handlungsweisen sind direkt gegen Gott und den Glauben allgemein gerichtete Kampfschritte.

In Kosova und im Balkan wird der religiöse Extremismus von ausländischen Kreisen angestachelt und aufgeheizt, er spielt sich über gewisse einheimische Gruppierungen ab, während deren Opfer hauptsächlich gewöhnliche Leute und Gläubige sind, die nicht das nötige Wissen haben oder nicht im Stande sind, zwischen authentischen und abweichenden religiösen Grundsätzen zu unterscheiden. Ein anderer Grund ist auch die fragile politische, soziale und wirtschaftliche Lage, die in dieser Region schon seit beinahe über zwei Jahrzehnten herrscht und die manchen Kreisen, ohne deren wahre Herkunft und deren schlussendlichen Ziele zu kennen, die Tore öffnete, um im Namen von Humanismus oder brüderlicher oder bilateraler Zusammenarbeit frei in unserem Land und im Balkan allgemein zu operieren.

Albinfo.ch: Die Albaner pflegten traditionell einen moderaten Islam, sie waren sogar in der ganzen Welt ein Vorbild des religiösen Zusammenlebens. In letzter Zeit begann zu bröckeln, was 500 Jahre lang gelebt worden war. Manche Leute entweihen sogar nationale Identifikationsfiguren. Was halten Sie davon?

Hamiti: Was ich dazu sagen kann ist, dass es keinen Frieden unter uns geben wird, wenn der Respekt gegenüber dem Glauben und der geistigen Bindung des Andern, sowie er zwischen den Albanern über Jahrhunderte existierte, fehlt. Niemand von uns soll den anderen beleidigen, beeinträchtigen oder gefährden, indem er den Glauben missbraucht.
Die Albaner gehörten und gehören verschiedenen Religionen an, und unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit gingen sie immer auf einem gemeinsamen Weg und kämpften miteinander für den Erhalt ihrer nationalen und patriotischen Identität. Jeder von uns muss sich vergegenwärtigen, dass ohne Nation und ohne Staat auch der Glaube nicht leben und noch weniger richtig und wie es sich gehören würde gelebt werden kann. Deshalb handelt es sich bei Provokationen wie den jüngst geschehenen, wo Symbole des nationalen albanischen Konsens beleidigt und beschmutzt wurden, um Taten von Menschen, die Opfer der Hetze und des Hasses von Feinden des interreligiösen Zusammenlebens, von Leuten, die die Zukunft der Albaner aushöhlen, wurden. Die Menschen müssen aufpassen, nicht zur Beute von ausländischen Intrigen zu werden, die vermittels eines “Glauben” genannten Elementes Destabilisierung und das Ende des Wegs, der uns in eine prosperierende und nachhaltige Zukunft führen würde, herbeiwünschen.

Im Übrigen rät uns auch Gott, uns vor jenen in Acht zu nehmen, die Unfrieden und Zwietracht stiften, denn das Böse, das von ihnen kommt, schont weder Kinder noch das Gute in der Gesellschaft.

Albinfo.ch: Viele junge Männer sind in den Krieg nach Syrien gezogen, auch solche aus der Gegend von Drenica, welche dem Glauben gegenüber sehr loyal war. Einige wurden in den Kämpfen getötet. Lohnt es sich, in einem Krieg zu sterben, dessen Sinn einer nicht kennt? Was können Sie dazu sagen?

Hamiti: Es liegt in der individuellen Kompetenz eines jeden Menschen, über seine Handlungen und sein Schicksal zu entscheiden. Wir können uns nicht in die individuellen Entscheide und Haltungen der Menschen einmischen, jedoch, ob es sich lohnt in ein Land zu gehen und zu kämpfen, wo man nicht weiss, wohin es geht und für was gekämpft wird, vor allem jetzt in jüngster Zeit, dazu kann ich nicht mehr sagen als das, was heute alle höchsten religiösen islamischen und glaubwürdigen Instanzen in der Welt sagen, die nicht aufhören, die Taten von Gruppen, welche diese im Namen des Glaubens zu begehen sich rühmen, als unislamisch, unethisch und als in direktem Widerspruch zu den Prinzipien und Anleitungen des Islams stehend zu verurteilen.

Die ganze Entwicklung dort bis heute und andauernd ist ein Abrutschen des Versuchs, das Regime von Assad zu stürzen, in einen Krieg der Sekten und Fraktionen, dessen Ende schwierig vorherzusehen ist.

Unsere Töchter und Söhne sollen sich nicht betrügen und dazu verführen lassen, sich für eine unbekannte Sache zu opfern.

Albinfo.ch: Wer ist schuld am Erstarken des Extremismus in Kosova? Die Regierung, der Klerus oder die Medien?

Hamiti: Alle ein wenig. Die Regierung trägt ihren Teil an der Schuld, weil sie bis heute ihre Arbeit nicht gemacht hat, was die Regelung der rechtlichen Stellung der BIK (der Islamischen Gemeinschaft Kosovas) angeht. Denn bekanntlich ist diese Gemeinschaft de iure immer noch nicht von ihrem alten Status aus der Zeit des jugoslawischen Königreichs gelöst. Dieser Status muss ersetzt und im Rahmen der neuen Institutionen des Landes neuformuliert werden.

Ihrerseits gaben die religiösen Führer von praktisch all unseren Konfessionen in ihren Predigten übertriebene und nicht ausgewogene Erklärungen von sich und missbrauchten so die Massen und das freie öffentliche Wort zum Schaden der andern. Ein Teil von ihnen orientierte sich, leider, in den letzten Jahren nicht zeit- und ortsgemäss. Doch auch die Medien tragen einen Teil der Schuld, weil sie Individuen, die sich als Retter des Glaubens in Kosovo und der weiteren Umgebung betrachten, viel Raum gaben und geben, ohne sich im geringsten bewusst zu sein, welch ein Schaden langfristig durch deren unkontrollierten und ungeschliffenen Predigten entsteht.

Albinfo.ch: Wie könnte man aus dieser Situation herauskommen, so dass die Albaner wieder zur Normalität zurückkehren und die Religion das bleibt, was sie bis jetzt 500 Jahre lang gewesen ist?

Hamiti: Den Menschen immer wieder den Respekt, den sie in zivilen und religiösen Dingen füreinander hegen sollen, zum Bewusstsein bringen, sie zu diesem Respekt erziehen. Das ist der einzige Weg zur Rettung unseres Volkes vor den trennenden Keilen, die im Namen der Religion von verschiedenen Brutstätten in der Region aus vorangetrieben werden. Dazu braucht es eine ernsthafte und korrekte Zusammenarbeit zwischen den religiösen Institutionen und Gemeinschaften und den staatlichen Behörden.

Die BIK, die Islamische Gemeinschaft Kosovas, muss so schnell wie möglich administrativ reorganisiert, sodann müssen dringend Schritte zur Förderung ihrer Bildungs- und Erziehungsinstitutionen unternommen, Bewusstseinsbildungsseminare mit ihren Mitarbeitern organisiert werden, und sie sollte zu einer einheitlichen offiziellen religiösen Haltung im ganzen Land kommen, und nicht, wie bis jetzt geschehen, Personen oder Gruppen zu ihren Verantwortlichen nehmen, die unter unseren Gläubigen und der Bevölkerung allgemein Verwirrung stifteten.

Auch unsere anderen Religionsgemeinschaften im Land müssen zu diesem toleranten Geist beitragen, indem sie Unfrieden stiftenden, entzweienden Elementen, die Provokationen und unnötige Spannungen anheizen können, aus dem Wege gehen.