Integration
Vom Lehrling zum Berufsschullehrer, Dhurim Bytyqi
Als grossen Vorteil meines Migrationshintergrundes empfinde ich den einfacheren Zugang zu den Lernenden. In gewissen Situationen erlaubt es «mein Name» einen bestimmten Vertrauensvorsprung gegenüber Schülern mit Migrationshintergrund zu finden
Der Weg zum Lehrerberuf muss nicht immer über das Gymnasium und anschliessend zum Pädagogikstudium führen, ein lebendiger Beweis hierfür ist Dhurim Bytyqi. Wie man sonst noch Pädagoge werden kann und welche Fragen der Nachname von Herrn Bytyqi bei den Schüler:innen auslöst, erfahren wir im folgenden Interview.
albinfo.ch: Lieber Herr Bytyqi wie war damals Ihre Berufswahlzeit und weswegen entschlossen Sie sich für das KV?
Dhurim Bytyqi: Während der obligatorischen Schulzeit wusste ich nicht genau, wo meine Stärken liegen und was meine Interessen sind. Während der Berufswahl entschlossen sich die meisten meiner Freunde für das KV und daher dachte ich mir, dass will ich auch. Eine echte Auseinandersetzung mit der Berufswahl stelle ich mir heute anders vor. Man sagte mir, das KV würde gute Weiterbildungsmöglichkeiten bieten und ist eine gute Grundausbildung. Aus diesem Grund entschied ich mich schlussendlich für eine Lehre in der Branche «Dienstleistung und Administration» mit Profil E. Leider oder aus heutiger Sicht «zum Glück» musste ich ein Zwischenjahr machen. In diesem Jahr fand ich meine grosse Liebe und heutige Ehefrau. Die Lehre hat mich insofern geprägt, dass ich finanziell unabhängig wurde und lernte selbständig zu arbeiten. Das grosse Interesse für Bildung und Schule kam aber erst mit der Berufsmaturität 2.
albinfo.ch: Wie kam es zum Wechsel als Berufsschulschüler zum Berufsschullehrer und welche Voraussetzung mussten Sie für diese Weiterbildung mitbringen?
Dhurim Bytyqi: Wenn man die Frage stellt: Was ist ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin, dann kommen jeder Person sogleich Namen und Gesichter in den Sinn. Man fühlt sich zeitgleich zurückversetzt in die einzelnen Lektionen von Frau Müller oder Herr Meier. Bei mir waren es auch Lehrpersonen, die mich inspiriert und motiviert haben, Lehrer zu werden. Dazu kam auch, dass ich – besonders in der BM2 (Berufsmaturität) – merkte, wie wichtig Bildung ist. Nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für das Individuum. Es hilft bei der Identitäsfindung, der Auseinandersetzung mit sich selbst, der persönlichen Horizonterweiterung und es hat mir auch persönlich geholfen, die Komplexität des Alltags und der Welt besser zu verstehen. Hier wollte ich meinen persönlichen Beitrag leisten. Beeinflusst hat mich sicherlich auch die Tatsache, dass ich von einer «Lehrerfamilie» komme. Meine beiden Eltern waren im ehemaligen Jugoslawien Lehrer, genauso wie zwei weitere Verwandte. Eine meiner Cousinen in Amerika ist auch Lehrerin für Mathematik und eine andere Cousine gerade in der Ausbildung zur Gymnasiallehrerin in Deutschland. Diese Faktoren haben gewiss auch auf mich abgefärbt. Nach der BM2 wusste ich noch nicht genau, ob ich direkt an die Pädagogische Hochschule gehen möchte und die Ausbildung zum Sekundarstufenlehrer absolvieren soll oder in einem ersten Schritt einen anderen Studiengang machen soll. Da ich die kaufmännische BM gemacht habe, ergab sich, dass ich mich für ein Wirtschaftsstudium entschied. Damals schon diente dieser Zwischenschritt als Mittel zum Zweck, um anschliessend Wirtschaft an eine Berufsfachschule unterrichten zu können. Gegen Ende meines Wirtschaftsstudiums erhielt ich eine Stelle als Kursassistenz an einer Schule, wo hauptsächlich mit Asylsuchenden arbeitete. Diese Erfahrung war sehr wertvoll und verstärkte meinen Wunsch, Berufsschullehrer zu werden.
In Bezug auf die Voraussetzung für die Weiterbildung hört es sich klischeehaft zu erwähnen, dass die Motivation und Begeisterung die Grundpfeiler dafür sind. Ich war schon immer gerne Schüler bzw. Student. Das Lernen ist ein stetiger Prozess und ganz nach dem Motto des SBFI «Lebenslanges Lernen» ist dieses dynamische Konstrukt ein ständiger Begleiter meiner Person geworden. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Zeit und die damit verbundenen Kosten. Je länger man sich Zeit dafür lässt, können folglich auch andere Aufgaben entstehen und sich die Rahmenbedingungen ändern. Familie, Berufsleben, Alter sind alles Kriterien, die gewiss einen Einfluss auf diesen Prozess der Weiterbildung haben können. Selbstverständlich können diese Einflüsse auch positiver Natur sein und entsprechend eine Weiterbildung erst möglich machen.
albinfo.ch: Wie sieht ein Berufsalltag bei Ihnen aus und wie reagieren neue Schüler, wenn sie neben Deutsch auch Albanisch als Muttersprache mit Ihnen teilen?
Dhurim Bytyqi: Was den Beruf als Berufsschullehrer spannend und gleichzeitig auch anspruchsvoll macht, ist die Tatsache, dass es den klassischen Berufsalltag nicht gibt. Man kann die Lektionen vorbereiten, didaktisieren und bis auf die Minute rhythmisieren. Diese Instrumente helfen, um dem Unterricht eine Struktur zu geben. Doch hat man nicht zuletzt mit jungen Menschen zu tun. Und dass das Unterrichten keine Einbahnstrasse ist, versteht sich von selbst. Es lebt von der Interaktion und der Motivation der Lernenden.
Interessant empfand ich die unerwartet «wenig» überraschende Reaktionen der albanisch-stämmigen Lernenden. Die häufigste Frage, die mir von ihnen gestellt wird, ist: «Sie Herr Bytyqi – dörf ich Sie was fröge: öpis Persönlichs: Vowo sind Sie vo Kosovo?». Das ist das Höchste der Gefühle. Manchmal – vor den Sommerferien – werde ich dann ab und zu auch mal gefragt, ob ich auch «abe gahn» (in den Kosovo).
Als grossen Vorteil meines Migrationshintergrundes empfinde ich den einfacheren Zugang zu den Lernenden. In gewissen Situationen erlaubt es «mein Name» einen bestimmten Vertrauensvorsprung gegenüber Schülern mit Migrationshintergrund zu finden. Wenn ich beispielsweise die Wichtigkeit der Bildung thematisiere und den Lernenden meinen Berufsweg erläutere, dann merke ich, dass die Aufmerksamkeit gross ist und sie verstehen möchten, wie das Bildungssystem in der Schweiz aufgebaut ist. Ganz nach dem Motto – wenn es Herr Bytyqi kann, dann kann ich es auch.
albinfo.ch: Was ist entscheidend für Eltern, wenn Sie ihr Kind sozial bzw. motivational während der Berufslehrere unterstützen möchten. Sind Druck und Handy-Verbot Drohungen ein altbewährtes Erfolgsrezept oder haben auch Sie Support-Alternativen für interessierte Eltern?
Dhurim Bytyqi: Die Berufswahl ist sehr wichtig und aus diesem Grund ist die konkrete Auseinandersetzung mit dieser Wahl zentral. Diese Auseinandersetzung geschieht aber schon viel früher – mit dem Erkennen der eigenen Stärken und Schwächen – den Interessen und Wünschen. Hier können die Eltern ansetzen und versuchen die eigenen Kinder zu unterstützen. Ist jemand handwerklich begabt und braucht viel Bewegung, dann ist eine Lehre im kaufmännischen Bereich womöglich nicht die ideale Wahl. Als weiteren, wichtigen Faktor sehe ich das Hobby. Ich beobachte immer mehr, dass meine Lernenden keine wirklichen Hobbys haben. Da sind auch die Eltern gefragt. Es zeigt sich, dass Jugendliche, welche einem Hobby nachgehen, Sportart, Musikinstrument, Theaterschauspiel, usw. viel geringere Identitätsschwierigkeiten haben und folglich auch mehr wissen, was sie wollen bzw. nicht wollen. Auch in Bezug auf die Berufswahl ist dies von Vorteil.
Zudem sollen die Eltern den Kindern keinen Druck machen und sie in eine Richtung drängen, in der sie sich nicht wohl fühlen. Es hilft auch, wenn die Eltern sich selbst mit dem Berufsbildungssystem der Schweiz auseinandersetzen und die verschiedenen Optionen kennenlernen. Handy- und Gameverbote sind nicht nachhaltig und zielführend. Das Handy soll nicht verteufelt werden – es ist heute aus unserem Alltag nicht wegzudenken und kann ein wichtiges Hilfsmittel sein. Das Problem hierbei sehe ich vielmehr in der Omnipräsenz. Man sollte gewisse Zeiten bewusster wahrnehmen, wie beispielsweise das Nachtessen mit der Familie oder auch Diskussionen und Debatten in der Familie. In diesen Situationen sollte das Handy nicht gebraucht werden und am besten von allen Beteiligten «versorgt» sein. Und sollten die Eltern mit dem Handygebrauch der Kinder Mühe haben, dann kann in einem ersten Schritt helfen, die eigene Zeit, welche man mit dem Handy nutzt zu hinterfragen und sich zu reflektieren. Die Eltern sind bei der Handynutzung nicht zwingend besser und daher wenig authentisch, wenn ein Handyverbot ausgesprochen wird.
Interview geführt: Driter Gjukaj
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