Integration

Sprachkenntnisse sind der Schlüssel zur Integration der Frauen

Albinfo.ch und der British Council veranstalteten in Bern ein Podiumsgespräch zum Thema "Migrantinnen und Sprache: kulturelles Erbe oder Integration".

Frauen ausländischer Herkunft stehen vor der Herausforderung, sich zwischen der mitgebrachten kulturellen Tradition und Integration zu entscheiden. Diese Herausforderung stellt sich noch ausgeprägter für albanische Frauen, wenn wir an die patriarchalische Tradition denken, deren Lasten sie oft tragen.

Diese Bürde abzuwerfen, die Sprache des neuen Landes zu lernen, Prioritäten zwischen kulturellem Erbe und Integration zu setzen, das waren die Themen des Podiumsgesprächs, das vergangenen Freitag in Bern stattfand, organisiert von albinfo.ch und dem British Council.

Auf dem Podium sassen Yvonne Riano, Lehrbeauftragte an der Universität Bern und Migrationsfachfrau, Corina Eichenberger, Nationalrätin, Luljeta Nuzi, Präsidentin des Programms “Shpresa” in London, und Marylone Vial-Pittet, Koordinatorin der Französischkurse für Migrantinnen in Fribourg. Die Diskussion wurde kompetent moderiert vom Journalisten Daniel Hitzig.

Zu Beginn begrüsste Bashkim Iseni, Leiter der Plattform albinfo.ch, die Anwesenden.
 
“Shpresa” und die Frauen, die besser Englisch lernen als die Männer

Die Schilderung der Vertreterin des Programms “Shpresa” von London, Luljeta Nuzi, über die Stellung der albanischen Frau in Grossbritannien in Bezug auf die Sprache des Landes traf, abgesehen von einigen Besonderheiten, auch für die albanischen Frauen in den andern Ländern zu. Auch wenn “Shpresa” nicht ein Programm nur für Frauen war, so standen diese wegen der zusätzlichen Probleme, mit welchen Frauen in der Emigration konfrontiert sind, doch in dessen Zentrum. Nuzi erklärte den Aufbau des von ihr geleiteten Programms, das sich von der Praxis, die üblicherweise in ähnlichen Programmen verfolgt wird, unterscheidet. “Zuerst musst du etwas schaffen, und dann erst nach der Finanzierung suchen – nach diesem Prinzip gingen wir vor, und das ist nachhaltiger, als wenn du dich mit einem Projekt bewirbst und auf die Finanzierung wartest, ohne dich vom Fleck zu bewegen”, meint Luljeta Nuzi.

Sie beschrieb einige Probleme in England, die vor allem Frauen betreffen und diese motivierten, mehr Englisch zu lernen. Bekanntlich sind die Mütter mehr als die Väter (die meistens arbeiten) mit den Kindern zusammen, und stehen daher vor Verständigungsproblemen mit den Lehrern oder der Kinderärztin etc., sagte Nuzi. Sie sprach auch über den Umgang mit Ausländern in Grossbritannien, über die Funktionsweise des Sozialsystems etc. .

Bewahrung der Identität schliesst Integration nicht aus

Wann sich das Parlament zum letzten Mal mit Angelegenheiten betreffend Migrantinnen befasst habe, war die Frage, die der Moderator an Nationalrätin Eichenberger richtete. Sie räumte ein, dass den Migrantinnen bis jetzt nie eine eigene Diskussion gewidmet worden sei, doch an der Sitzung, aus welcher sie kam, hatte das Parlament eine wichtige Entscheidung betreffend Ausländer getroffen. Es ging um die Änderung des Einbürgerungsgesetzes, wonach neu die Grundkriterien zur Erlangung des Schweizer Passes ein Aufenthalt von zehn Jahren und der Besitz der Niederlassung (Ausweis C) bilden.

Eichenberger sprach auch über das Verhältnis zwischen Integration in der neuen Gesellschaft und Bewahrung der Identität. Sie sagte, in der Schweiz funktioniere dieses Verhältnis gut, und erwähnte das Beispiel der Italiener, die vor über fünfzig Jahren kamen und gut integriert sind, dabei jedoch ihre Herkunftskultur bewahrten.

Nationalrätin Eichenberger erwähnte sodann die neu aufgenommene Bestimmung über die Sprachprüfung für Einbürgerungswillige. Die Koordinatorin für Sprachkurse für Migrantinnen, Marylone Vial-Pittet, widersprach den Kriterien des neuen Gesetzes und erachtete das Erfordernis von Sprachkenntnissen auf Niveau B1 mündlich und schriftlich als sehr unrealistisch. “Ausländer können gut integriert sein, auch ohne die Sprache auf diesem Niveau zu können, so wie sie ebenso gut nicht integriert sein können und dabei die Sprache perfekt beherrschen.”

Vial-Pittet sprach auch über die Zusammenarbeit mit den albanischen Vereinen in der Region, eine Zusammenarbeit auf gutem Niveau, wie sie sagte, doch konnte sie keine Angaben machen, wie viele albanische Frauen die von ihr koordinierten Sprachkurse besuchten. Im Kanton Fribourg lebten Menschen aus 72 nationalen oder ethnischen Herkunftsgruppen, und alle profitierten von den Kursen, betonte Vial-Pittet.

Laut der Berner Universitätsdozentin und Migrationsfachfrau Yvonne Riano unterscheidet sich das Bildungsniveau der Migrantinnen der letzten fünfzehn Jahre von demjenigen von früher. Jetzt kommen mehr ausgebildete Frauen in die Schweiz. Trotzdem, betonte Riano, bleibe es die Aufgabe der Regierung, auf nationaler, kantonaler wie lokaler Ebene, Migrantinnen im Bereich Sprache auszubilden.
 
Sprachliche Integration und  Schweizerdeutsch

Sie sprach auch von der Tendenz, dass Frauen mit Migrationshintergrund sich nur nach “typischen Frauenberufen” orientierten, beziehungsweise nach Arbeit im Gesundheitswesen oder mit Kindern. Dieses Spektrum gelte es zu vergrössern, damit Frauen gleichgestellt in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilnähmen, unterstrich Riano.

Im Zusammenhang mit der Integration auf sprachlicher Ebene sprach die Forscherin, die selbst spanische sprachliche Wurzeln hat, auch über ein spezifisch schweizerisches Problem: In den Deutschschweizer Kantonen stellt sich die sprachliche Integration schwieriger dar, weil hier nebst der Standardsprache Hochdeutsch für die Verständigung auch schweizerdeutsche Dialekte gebraucht werden. Die frankophonen Kantone kennen dieses Problem nicht, da sie eine mehr oder weniger standardisierte Sprache haben.

In diesem Zusammenhang äusserte auch Nationalrätin Corina Eichenberger ihre Meinung. Sie wandte sich gegen den Entscheid in ihrem Kanton (Aargau), gemäss welchem auf Vorschulniveau nur Dialekt und nicht Hochdeutsch gesprochen werden solle.

Lebendige und qualitativ hochstehende Diskussion

Bashkim Iseni, Leiter der Nachrichtenplattform albinfo.ch und Mitorganisator der Veranstaltung, beteiligte sich auch an der Diskussion und sprach über die Organisation des Unterrichts in albanischer Sprache in der Schweiz. Es gebe ein Unterrichtsnetzwerk  (LAPSH “Naim Frashëri”), das seit mehr als zwanzig Jahren aktiv sei und in dessen Rahmen Lehrerinnen und Lehrer hauptsächlich auf ehrenamtlicher Grundlage Kindern im Schulalter Albanisch lehrten, sagte Iseni. Doch tauchten mit dem Wechsel der Generationen allmählich gewisse Schwierigkeiten auf, diese Art von Unterricht aufrechtzuerhalten.

Das Publikum, in welchem sich ebenfalls kompetente Fachleute befanden, schätzte die Qualität der Beiträge auf dem Podium und stellte angeregt Fragen, so dass die Diskussion über die vorgesehene Zeit hinaus dauerte. Unter anderem kamen der Umgang der schweizerischen Behörden mit ausländischen Personen, oder die Frage, ob Migranten mehr vom Staat erwarten oder aber die Priorität auf private Initiativen legen sollten, zur Sprache.

EU-Botschafter Richard Jones und der britische Botschafter David Moran überbrachten als besondere Gäste dem Anlass ihre Grüsse und lobten das Niveau der Diskussion und die Wahl des Themas.

Moran analysierte die Unterschiede zwischen dem Integrationssystem in der Schweiz und jenem in Grossbritannien. Er betonte, dass beide ihre Vor- und Nachteile hätten, wobei er auch die Unterschiede in den Migrationsstrukturen der beiden Länder berücksichtigte.

Diskussion und Meinungsaustausch gingen auch beim albanischen Apéro am Schluss der Veranstaltung noch weiter.