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«Sicherheit Schweiz 2020»: Der Nachrichtendienst des Bundes stellt seinen Lagebericht vor

Die bisherigen Feststellungen des NDB lassen aber die allgemeine Aussage zu, dass die Pandemie bereits bestehende Tendenzen im internationalen System verstärkt und wahrscheinlich noch beschleunigt

Die internationale Sicherheitspolitik ist heute vom Ringen verschiedener Akteure um Einflusssphären geprägt. In diesem Kontext spielen die Fähigkeiten der Antizipation und Früherkennung des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) eine führende Rolle. Es gilt Bedrohungen rechtzeitig zu identifizieren und zu beurteilen sowie anschliessend die notwendigen präventiven Massnahmen zu ergreifen. Der Jahresbericht des NDB stellt die wichtigsten Lageentwicklungen aus nachrichtendienstlicher Sicht vor.

Die Frage nach den sicherheitspolitischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie lässt sich noch nicht detailliert beantworten. Die bisherigen Feststellungen des NDB lassen aber die allgemeine Aussage zu, dass die Pandemie bereits bestehende Tendenzen im internationalen System verstärkt und wahrscheinlich noch beschleunigt. Die Pandemie zeigt weitere Hinweise auf das Ende einer Weltordnung, die stark von den USA, ihrem Allianzensystem und massgeblich amerikanisch beeinflussten Institutionen geprägt war.

Der derzeit beobachtbare Wandel in der internationalen Sicherheitspolitik wird anhalten. Es ist fraglich, ob sich in absehbarer Zeit wieder eine stabile Ordnung bilden wird. Möglich wäre eine neue bipolare Ordnung zwischen den USA und China, die aber derzeit noch nicht klar ersichtlich ist. Noch ungewisser ist eine Entwicklung hin zu einem multipolaren System.

Strategischer Wettbewerb zwischen den Grossmächten

Das strategische Umfeld der Schweiz ist geprägt durch die Rivalität zwischen den USA und China, Russlands Streben, seine Einflusszone in Europa zu festigen, sowie diverse Konflikte und Krisen an den europäischen Grenzen. Die USA werden zwar über 2020 hinaus die Weltmacht mit dem grössten Einfluss bleiben, die transatlantischen Beziehungen sowie die amerikanische Präsenz im Nahen und Mittleren Osten werden künftig aber weiter an Bedeutung verlieren. Amerikas geopolitische Herausforderer versuchen davon zu profitieren und durch das Ende der amerikanischen Dominanz entstehende Lücken zur Umsetzung eigener Interessen zu nutzen.

China sieht sich als aufsteigende und den USA ebenbürtige Grossmacht. Die Kluft zwischen dem vom Westen geprägten liberalen Modell und dem autoritären Staatskapitalismus wird weiter wachsen. Es mehren sich die Hinweise, dass das internationale System mehr und mehr vom strategischen Wettbewerb zwischen den USA und China geprägt werden könnte – bis hin zur Errichtung exklusiver strategischer Einflusszonen.

Russland verfolgt weiterhin das Ziel, auf Augenhöhe mit den USA zu agieren und versucht eine eigene Einflusssphäre zu etablieren und zu festigen. Seine Politik zeigt Erfolge, strebt aber nach mehr. Die Ukraine bleibt im Zentrum der russischen strategischen Interessen, ebenso wie Belarus nach den Protesten im Nachgang der Präsidentschaftswahl vom 9. August 2020. Dort warnt der Kreml die USA und die EU klar vor jeglicher Einmischung. Auch das Schwarze Meer und das Mittelmeer sind Schauplätze der strategischen Rivalität mit anderen Akteuren. Russland setzt auch militärische Mittel ein, um seine Ziele zu erreichen.

Spionage als Instrument für Machtkämpfe

Spionage ist ein Ausdruck der oben beschriebenen Spannungen. Staaten nutzen Spionage als Instrument, um in Machtkämpfen eine vorteilhafte oder gar dominante Stellung gegenüber politischen, militärischen oder wirtschaftlichen Rivalen zu erlangen oder zu festigen. Solche Spannungen widerspiegeln sich auch in Spionageaktivitäten fremder Staaten auf Schweizer Boden, was dem Bild der Schweiz als Gaststaat für die internationale Diplomatie schadet. Zudem werden Schweizer Interessen direkt bedroht, wenn ausländische Spionageakteure zum Beispiel den Schweizer Finanz- und Handelsplatz, innovative Unternehmen oder politische Institutionen ins Visier nehmen, um Wettbewerbsvorteile und Einflussmöglichkeiten zu gewinnen. Gewisse Staaten nutzen Spionage auch als Instrument gegen ihre Staatsangehörigen, um die eigene Macht zu konsolidieren – beispielsweise durch die Überwachung und Einschüchterung von Oppositionellen im Ausland, so auch in der Schweiz.

Spionage, ja die internationalen Machtkämpfe insgesamt, finden auch im Cyberraum statt. Dabei sind die kritischen Infrastrukturen der Schweiz bisher nie direkt Ziel von Sabotageaktionen mit staatlichem Hintergrund geworden. Bei Angriffen auf kritische Infrastrukturen geraten aber auch Schweizer Geschäftspartner und Zulieferer ins Visier, wobei deren Schädigung zumindest in Kauf genommen wird. Schweizer Ziele können also auch indirekt Opfer der Konfliktaustragung im Cyberraum werden.

Gewalttätiger Extremismus: Versuche, Demonstrationen zu instrumentalisieren

Im Kontext des dschihadistischen Terrorismus ist weiterhin der „Islamische Staat“ tonangebend. Die Terrorbedrohung in der Schweiz bleibt erhöht. Weitere Anschläge in Europa sind wahrscheinlich – in erster Linie solche, die vom „Islamischen Staat“ inspiriert werden. Die Schweiz gehört zwar zu den in den Augen der Dschihadisten legitimen Anschlagszielen, steht dabei aber nicht im Vordergrund.

Das Gewaltpotenzial sowohl der linksextremen als auch der rechtsextremen Szene bleibt bestehen. In der linksextremen Szene bleiben intensivere Formen der Gewaltausübung wie Brandstiftung vor allem auf Objekte beschränkt, die im Zusammenhang mit der vermeintlichen „Repression“ gesehen werden. Bei Demonstrationen ist eine breitere Beteiligung an Gewalttaten und hohe oder gar zunehmende Aggressivität erkennbar. Insbesondere die linksextreme Szene versucht, die Führung in neu entstehenden Bewegungen wie den diesjährigen Black-Lives-Matter-Demonstrationen in der Schweiz an sich zu ziehen und diese für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

Mitglieder der rechtsextremen Szene setzen Gewalt derzeit zurückhaltend ein. Es bleibt aber zu erwähnen, dass in besagter Szene Kampfsportarten trainiert werden und funktionstüchtige Waffen vorhanden sind. Das grösste Risiko für einen rechtsextrem motivierten Anschlag in der Schweiz geht von allein handelnden Personen mit rechtsextremer Gesinnung, aber ohne feste Zugehörigkeit zu etablierten gewaltextremistischen Gruppierungen aus.