Integration
Prof. Dr. Schader: Ohne angemessene Bemühungen könnte Albanisch in der Schweiz nach zwei Generationen aussterben
"Ohne die nötigen Anstrengungen besteht die Gefahr, dass das Albanische nach zwei oder drei Generationen vielleicht nicht völlig verschwindet, aber auf einem sehr niedrigen Niveau verbleibt, beschränkt auf sehr einfache kommunikative Fähigkeiten, begrenzt auf Dialekte"
Prof. Dr. Basil Schader ist ein Germanist, Albanologe, Sprachdidaktiker und Schweizer Autor. Er ist Autor von wissenschaftlichen Publikationen, Lehrmaterialien, didaktischen Handbüchern, literarischen Texten und Übersetzungen aus dem Albanischen. In der albanischen Gemeinschaft der Schweiz ist er vor allem für seinen grossen Beitrag zur Erstellung von Lehrtexten für den albanischen Ergänzungsunterricht in der Schweiz bekannt.
Bis zu seiner Pensionierung arbeitete Dr. Schader an der Pädagogischen Hochschule Zürich, wo er den Bereich Deutsch als Zweitsprache leitete.
Professor Schader, der auch in Albanologie an der Universität Tirana promoviert wurde, ist vielleicht der einzige Schweizer, der sich professionell mit dem Studium der albanischen Sprache und deren Interaktion mit der deutschen Sprache beschäftigt hat. Er ist der Autor der Studie “Albanischsprachige Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Hintergründe, schul- und sprachbezogene Untersuchungen” (Albanischsprachige Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Studien zu Hintergrund, Schule und Sprache).
Dieses Interview wurde auf Albanisch geführt.
Albinfo.ch: Die albanische Sprache ist laut den neuesten Statistiken nach Englisch die am meisten gesprochene Fremdsprache in der Schweiz. Diese Feststellung wirft natürlich Fragen auf: Angesichts der Anzahl der Sprecher, also ihrer “Menge”, wie steht es nun um die “Qualität”, bzw. wo ist Albanisch ausserhalb der Umgebungen präsent, in denen Albaner hier leben und verkehren?
Basil Schader: Die Priorität liegt natürlich in den Umgebungen, in denen die Albaner leben und verkehren, z.B. in Familien, Freundeskreisen, Clubs, Moscheen usw. Ausserhalb dieser Umgebungen ist Albanisch auch an Arbeitsplätzen mit Albanern präsent, z.B. in Krankenhäusern, Geschäften, Büros usw., sowie in digitalen sozialen Medien wie Facebook usw. Nicht zu vergessen sind Schulen mit albanischsprachigen Schülern, wo man oft Albanisch auf den Schulhöfen hören kann. Die sprachliche Qualität des Albanischen ist oft auf die dialektische Form beschränkt, auf mündlichen Gebrauch und einen recht einfachen Wortschatz, der für die Kommunikation mit der Familie und Freunden ausreicht, aber nicht für anspruchsvollere Themen mit speziellem Wortschatz. Besonders Schüler neigen öfter zur Sprache des Landes und der Schule (z.B. Hochdeutsch und Schweizerdeutsch), in der sie sich sicherer fühlen.
Die schriftliche Verwendung, die wir in den digitalen sozialen Medien beobachten können, zeigt oft sehr begrenzte Fähigkeiten in Bezug auf Orthografie und Verwendung des Standardalbanischen (literarischen Sprache).
Albinfo.ch: Es ist bekannt, dass die Grundlagen der albanischen Sprachstudien hauptsächlich im deutschsprachigen Kulturraum, wie in Österreich und Deutschland, gelegt wurden. Kann man von einer, wenn auch bescheidenen, Tradition des Studiums der albanischen Sprache oder der Albanologie auch in der Schweiz sprechen?
Basil Schader: Im Vergleich zu Österreich und Deutschland hat die Schweiz keine ähnliche Tradition in der Albanologie, noch bekannte Albanologen wie Johann von Hahn, Franc Nopça, Norbert Jokl und andere. Dennoch gibt es mindestens einige albanologische Projekte an den Universitäten Zürich und Basel. Von grosser Bedeutung sind auch die Forschungen und Veröffentlichungen, die das Albanische Institut in St. Gallen (https://albanisches-institut.ch/) und das ISEAL (Schweizerisches Institut für Albanische Studien) in Lausanne (iseal.ch) durchführen, die beide auf Initiative der albanischen Seite gegründet wurden.
albinfo.ch: Sie sind der einzige Forscher aus der Schweiz, der sich mit dem Studium der albanischen Sprache befasst, also der einzige Albanologe, soweit wir wissen. Sie haben auch ein Buch über die albanische Sprache in der Schweiz veröffentlicht („Albanischsprachige Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Hintergründe, schul- und sprachbezogene Untersuchungen“). Arbeiten Sie noch an der Erforschung des Albanischen bzw. der Interaktion mit dem Deutschen?
Basil Schader: Leider nein. Nach meiner Pensionierung verfüge ich nicht mehr über die institutionellen Möglichkeiten und Unterstützungen, die ich von der Pädagogischen Hochschule Zürich hatte, in deren Rahmen ich die erwähnten Studien durchgeführt habe. Heute beschäftige ich mich vor allem mit Übersetzungen albanischer literarischer Werke und Bücher von ethnologischem und sozialem Wert, sowie mit meinen eigenen literarischen Werken, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Basil_Schader.
albinfo.ch: In der ganzen Schweiz gibt es kein universitäres Seminar oder Lehrstuhl, der den Unterricht der albanischen Sprache anbietet. In der Zwischenzeit werden Sprachen mit viel weniger Sprechern, wie die slawischen Sprachen, zumindest an den drei grossen Universitäten der Deutschschweiz unterrichtet. Vor einigen Jahren wurde über Pläne für einen Lehrstuhl oder ein Seminar für Albanisch in Bern bzw. Zürich gesprochen. Haben Sie Kenntnisse, ob konkrete Schritte in diese Richtung unternommen wurden?
Basil Schader: Ich weiss, dass viel über einen Lehrstuhl für Albanisch in der Schweiz gesprochen und viele Anstrengungen in diese Richtung unternommen wurden, aber soweit ich weiss, wurde bisher nichts realisiert, was ich sehr bedauere. Zu den Gründen gehören finanzielle Aspekte und das Fehlen einer albanologischen Tradition in der Schweiz. Der Vergleich mit den slawistischen Seminaren, wie sie einige Universitäten haben, ist etwas schwierig, da die slawischen Sprachen eine ganze Sprachgruppe von Russisch bis Kroatisch umfassen, was sicherlich die Gründung entsprechender Institute erleichtert hat.
albinfo.ch: Wenn ein Lehrstuhl oder Seminar eröffnet würde, glauben Sie, dass es das entsprechende akademische Personal gibt, sowohl unter den Albanern (und auch Schweizern) vor Ort?
Basil Schader: Ich glaube, dass es vor allem für die mittleren akademischen Funktionen (‘akademischer Mittelbau’, d.h. Assistenten, wissenschaftliche Mitarbeiter usw.) fähige Menschen gibt. Für die Leitung des Lehrstuhls müsste man vielleicht, zumindest anfangs, jemanden von ausserhalb suchen, sei es aus den albanischen Gebieten oder vielleicht von der albanologischen Abteilung der Universität München. Selbstverständlich sollte das mittelfristige Ziel die Qualifizierung des akademischen Personals aus den lokalen Ressourcen sein.
albinfo.ch: Zur Bewahrung und Pflege des Albanischen bei den Albanern der zweiten, dritten und weiteren Generationen ist in erster Linie ein funktionierendes Netzwerk albanischer Schulen in der Schweiz notwendig. Dieses Netzwerk wird jedoch in unserem Fall, im Vergleich zu vor zwei oder drei Jahrzehnten, erheblich geschwächt. Sie kennen das Problem gut. Als Albanologe und Freund der Albaner haben Sie wertvolle Beiträge zur Entwicklung des ergänzenden Albanischunterrichts in der Schweiz geleistet. Glauben Sie daher, dass dies das „vorgeschriebene Schicksal“ ist, das unweigerlich zum allmählichen Aussterben des Albanischen ausserhalb des Ursprungslandes führt, oder gibt es noch Hoffnung?
Basil Schader: Sie weisen auf ein wirklich tragisches Phänomen hin. Für den ergänzenden Albanischunterricht in der Schweiz haben wir ausserordentlich nützliche Lehrtexte entwickelt und Trainingsseminare, Präsentationen usw. organisiert. In dieser Hinsicht fehlt es an nichts. Was fehlt, sind die Schüler, die diesen Unterricht fortsetzen. Die Gründe sind vielfältig: Von albanischen Eltern, die kein Interesse an diesem Unterricht zeigen (weil sie nicht verstehen, wie wichtig die Entwicklung einer zweisprachigen/zweikulturellen Identität ist und welchen Wert albanische Kenntnisse auch auf dem Arbeitsmarkt haben können), von den Schülern selbst, die kein Interesse zeigen, auch wegen der starken Konkurrenz durch andere Freizeitaktivitäten (Sport, Spiele usw.), und von Seiten des Schweizer Staates oder der kantonalen Behörden, die den ergänzenden Unterricht (nicht nur Albanisch) in das System und den Stundenplan der Schweizer Schule nicht ausreichend integrieren.
Meine Hoffnung ist, dass mit neuen Initiativen und einer verbesserten Zusammenarbeit mit den Schweizer Institutionen die derzeit katastrophale Situation etwas entschärft werden kann. Am besten fände ich die Integration des ergänzenden Unterrichts in den regulären Stundenplan, so dass z.B. jeden Dienstag von 10 bis 12 Uhr alle Schüler einer Schule zum ergänzenden Unterricht in ihrer Muttersprache gehen würden (einschliesslich der einheimischen Schüler, die einen Kurs über Schweizer Sprache und Kultur besuchen würden). Ein solches Experiment wurde mit grossem Erfolg in Basel (Schule St. Johann) durchgeführt, aber soweit ich weiss, wurde es nirgendwo sonst wiederholt.
Ohne die erwähnten Bemühungen besteht die Gefahr, dass das Albanische nach zwei, drei Generationen vielleicht nicht ganz verschwindet, aber auf einem sehr niedrigen Niveau bleibt, beschränkt auf sehr einfache kommunikative Fähigkeiten, auf die dialektische Form und ohne literarische Kompetenzen (Schreiben und Lesen). So würden die entsprechenden Kinder und Jugendlichen mehr oder weniger Analphabeten in ihrer Muttersprache bleiben. Das wäre eine ziemlich deprimierende Aussicht.
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