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Personenfreizügigkeit: Zuwanderung erweitert das Potenzial des Arbeitsmarkts

Die EU-Zuwanderung war zur Deckung der Arbeitskräftenachfrage in den vergangenen zwanzig Jahren wichtig. Dabei diente die Rekrutierung im Ausland in vielen Berufen vermehrt auch der Abfederung von demografischem Ersatzbedarf. Dieser wird in den kommenden Jahren nicht nur hierzulande, sondern auch im Ausland weiter zunehmen. Im Wettbewerb um Arbeitskräfte ist die Schweiz gut aufgestellt, wie der 19. Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen zeigt.

Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt hat über die letzten zwanzig Jahre ein tiefgreifender struktureller Wandel stattgefunden. Die Erwerbstätigkeit verlagerte sich hin zu wertschöpfungsintensiveren Tätigkeiten, welche hohe Qualifikationsanforderungen an die Arbeitskräfte stellen. Für die einheimischen Arbeitskräfte eröffneten diese Veränderungen Chancen zum beruflichen Aufstieg, die viele erfolgreich nutzen konnten. So ist die einheimische Bevölkerung heute deutlich besser qualifiziert als vor zwanzig Jahren und übt anspruchsvollere berufliche Tätigkeiten aus. Die Personenfreizügigkeit ermöglichte es den Schweizer Unternehmen, über die Rekrutierung im Inland hinaus auch leichter auf das Potenzial an Arbeitskräften aus dem EU-Raum zurückzugreifen. Gebrauch gemacht wurde hiervon vor allem zur Deckung des Bedarfs an qualifizierten, oftmals spezialisierten Fachkräften. Aber auch für Tätigkeiten auf mittlerer bis niedriger Qualifikationsstufe erwies sich die Rekrutierung im EU-Ausland als wichtig: So etwa in Handwerks- oder auch in Verkaufsberufen, wo sich das inländische Arbeitsangebot zusehends verknappt hat. Neben der Höherqualifizierung der einheimischen Bevölkerung führte hier auch die demografische Entwicklung zu einem Ersatzbedarf.

«Demografische Lücke»: Ersatzbedarf im Arbeitsmarkt nimmt zu
Da die Freizügigkeitszuwanderung stark auf Personen im Erwerbsalter konzentriert ist, wirkte diese der Alterung der einheimischen Bevölkerung über die vergangenen zwanzig Jahre spürbar entgegen. Der Einfluss dieses «verjüngenden» Effekts zeigt sich auch im Quervergleich mit anderen Ländern Europas, in denen sich entsprechende demografische Herausforderungen heute bereits in stärkerem Ausmass bemerkbar machen.

Ein weiteres Wachstum der Bevölkerung im Erwerbsalter wird in Zukunft noch stärker als bisher von der Zuwanderung abhängen. Bereits heute übersteigt die Zahl der 65-Jährigen jene der 20-Jährigen; es treten also tendenziell mehr Personen durch Pensionierung aus dem Arbeitsmarkt aus als junge Arbeitskräfte neu hinzukommen. Durch die bevorstehenden Abgänge der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsprozess wird sich diese demografische Lücke im Schweizer Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren weiter öffnen.

Schweiz für ausländische Arbeitskräfte weiterhin attraktiv
Die demografische Alterung der Gesellschaften in ganz Europa führt dazu, dass sich die internationale Konkurrenz um gesuchte Fachkräfte akzentuiert. Im Zuge der dynamischen weltwirtschaftlichen Erholung im Nachgang zur Corona-Krise haben sich die Rekrutierungsschwierigkeiten auch konjunkturbedingt zugespitzt. Die Attraktivität der Schweiz für ausländische Arbeitskräfte scheint allerdings ungebrochen. Im Jahr 2022 hat die Nettozuwanderung im Rahmen der Personenfreizügigkeit wie auch die Grenzgängerbeschäftigung vor dem Hintergrund einer starken Arbeitskräftenachfrage bei historisch tiefer Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr kräftig zugenommen. Diese Dynamik hielt auch im ersten Halbjahr 2023 weiter an.

Erhöhte Arbeitslosigkeit, geringes Sozialhilferisiko
Personen, die im Rahmen der Personenfreizügigkeit in die Schweiz zugewandert sind, sind einem überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeitsrisiko ausgesetzt. Insbesondere Arbeitskräfte aus Süd- und Osteuropa, welche häufiger in instabilen, beispielsweise saisonalen Beschäftigungsverhältnissen tätig sind, weisen im Quervergleich einen erhöhten Bezug von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung auf. Im Unterschied dazu lag das Ausmass der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch Freizügigkeitszugewanderte über die vergangenen Jahre auf sehr tiefem Niveau, tiefer sogar als für Schweizerinnen und Schweizer. Besonders selten sind Leistungsbezüge zu Beginn des Aufenthalts. Hinweise, wonach Freizügigkeitszugewanderte häufiger als Einheimische aufgrund prekärer Beschäftigungsverhältnisse auf Sozialhilfe angewiesen sind, finden sich keine.

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