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Nebst Burka und Minaretten

Angesichts der Situation in Frankreich stellen sich Bashkim Iseni Fragen zum Geschehen hier in der Schweiz

Das Thema Islam, Muslime und ihre Integration durchlebt in Frankreichs Politik und Medien neue Entwicklungen. Es sind Polemiken, die in einem Kontext der Unsicherheit stattfinden, entstanden durch die dicht aufeinanderfolgenden Terroranschläge in Frankreich. Das ist in gewissem Mass verständlich. Wo ist das Problem? Dass diese – wahlpolitisch sehr ergiebige – „Diskussion“ die kulturellen Dimensionen ausweidet, um so das Unbehagen gegenüber der soziologisch muslimischen Bevölkerung zu erklären, während soziologische und politische Ursachen aus der Auseinandersetzung verdrängt werden. Dazu gehören: Hindernisse bei der sozialen Mobilität, insbesondere jener der Jungen aus eingewanderten Bevölkerungsgruppen, und die Inkohärenz der Migrationspolitik.

So wird die Verantwortung für das mögliche Scheitern der Integration von eingewanderten, zum grössten Teil aus ehemaligen Kolonien stammenden Bevölkerungsgruppen nunmehr den Hauptbetroffenen selbst angelastet, die nach dieser Sichtweise mit Laizismus und republikanischen Werten kulturell inkompatibel wären. Denn sie verharrten in einer auf Religion gründenden Kultur. Selbst wenn das Gewicht der Tradition bei diesen Bevölkerungsgruppen tatsächlich schwer wiegt, ist eindeutig festzustellen, dass reale Veränderungen stattfinden, über die nicht hinweggesehen werden darf.

Neulich berichtete die Zeitung Le Monde von einer Studie, die sich auf eine grosse Umfrage bei Personen muslimischen Glaubens oder mit Herkunft aus muslimischen Kulturen stützt. Die Schlussfolgerungen zeigen, dass die schweigende Mehrheit dieser Bevölkerung einem Wertesystem und einer religiösen Praxis folgt, die „sich reibungslos in die republikanischen Normen und Regeln einfügen“.

In der Schweiz nimmt die Debatte über die Anwesenheit der Muslime ebenfalls eine ungesunde Wendung im Identitätsdiskurs. Denn ins Zentrum der Diskussion werden Phänomene gestellt, die sozusagen inexistent oder marginal sind. Die Debatte geht, einmal mehr – nach jener um die Minarette – um extreme und äusserst seltene Situationen.

Das neueste Beispiel ist die Unterschriftensammlung für die Initiative des Egerkingerkomitees, die Frauen die Gesichtsverschleierung  verbieten will. Nun mag man tatsächlich verstehen, dass es darum gehen solle, symbolisch rote Linien festzulegen, die nicht überschritten werden dürfen. Nichtsdestoweniger ist das Problematische hier die Tatsache, dass der Vollschleier auf die muslimischen Personen in der Schweiz gemünzt ist, obschon ein solcher den Sitten und Bräuchen der überwältigenden Mehrheit der Musliminnen in der Schweiz gänzlich fremd ist. Letztere sind europäischer Herkunft und leben ihre religiöse oder kulturelle Zugehörigkeit in Übereinstimmung mit der schweizerischen Rechtsordnung und Kultur.

Wo doch die Integration der Musliminnen und Muslime hier auf gutem Weg ist, darf man sich berechtigterweise die Frage stellen, ob diese Art von politischer Mobilisation auf nationaler Ebene nicht mehr Integrationsprobleme auslöst als dass sie lösen würde. Sind zudem religiöse Angelegenheiten nicht eher Sache der Kantone?