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Für Erinnerung und Menschenwürde
Grussbotschaft von Bundespräsidenten Johann N. Schneider-Ammann zum internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar 2016
Heute ist es genau ein Jahr her, dass Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und Regierungsvertreter aus der ganzen Welt auf dem Gelände des ehemaligen Lagers der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedachten. Seit der Befreiung des Lagers sind über 70 Jahre vergangen. Es ist wichtig zu betonen, dass die Überlebenden im Zentrum des Gedenkens standen, denn die letzten Zeitzeugen sind im hohen Alter, und bald wird niemand mehr unter uns sein, der aus eigener, leidvoller Erfahrung sagen kann: “Es ist geschehen, ich habe es am eigenen Leib erfahren, und folglich kann es wieder geschehen. Wehret den Anfängen.”
Die Ankunft der Befreier war für die wenigen verbliebenen Häftlinge, die am Ende ihrer Kräfte angelangt waren, eine Erlösung. Seither geht die Bedeutung dieses Datums, des 27. Januars 1945, weit über das eigentliche Ereignis hinaus und symbolisiert das Ende des Leidens, den Beginn eines schwierigen Neuanfangs für die Überlebenden und die Entstehung des tiefempfundenen Wunsches nach beständigem Frieden. Es hat universelle Bedeutung erlangt für das unvorstellbare Leid, welches Menschen einander zufügen können.
71 Jahre sind eine lange Zeit. Vermögen Gedenkveranstaltungen, wie sie am heutigen Tage in vielen Ländern stattfinden, noch zu informieren, zu bilden, zu sensibilisieren? Tragen solche Anlässe zu einer besseren, friedlicheren Welt ohne Hass und Diskriminierung bei? Ich befürchte, dass es Menschen, die den Holocaust leugnen, relativieren oder verharmlosen, auch künftig geben wird, und stelle fest, dass die Stimmen, die zu Fremdenhass, Antisemitismus, Diskriminierung und Gewalt aufrufen, heute noch da sind. Und dennoch glaube ich fest an die Notwendigkeit, geschlossen für eine Welt einzutreten, in welcher die Würde aller Menschen geachtet wird. Und ich glaube fest an die Kraft der Solidarität, der Menschlichkeit, der Erinnerung.
Wir kommen heute zusammen, weil mit der systematischen Ermordung Millionen unschuldiger Menschen mitten in Europa eine grosse Wunde ins empfindliche Gewebe der Welt gerissen wurde, die nicht verheilt ist. Es wurden nicht nur Menschen, sondern ganze Gemeinden, Familien, und all das, was sie aufgebaut hatten, ausgelöscht: Gemeindeeinrichtungen wie Schulen und Spitäler, Glaubenshäuser und Friedhöfe, vielseitige nachbarschaftliche Beziehungen über konfessionelle Grenzen hinweg. Die Welt ist dadurch ärmer geworden, denn die Welt, die wir kennen und schätzen, lebt vom Pluralismus, von der Offenheit und der Neugier, vom lebhaften Austausch mit Gleich- und Andersgesinnten, von der Vermischung, vom Zugang zu Wissen und von der Lust am Lernen. Obwohl wir wissen, was wir verloren haben, möchten wir aber auch die erfolgreiche Integration der Überlebenden, die sich nach dem Krieg in der Schweiz niedergelassen haben, würdigen. Sie haben unsere Gesellschaft mit ihrer Arbeit und ihrem staatsbürgerlichen Engagement belebt und bereichert.
Wie andere Länder tritt auch die Schweiz gegen Gewalt und Willkür und für Erinnerung und Menschenwürde ein. So wird sie 2017 den Vorsitz der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernehmen, nachdem der Bundesrat diese Kandidatur unterstützt und die 31 Mitgliedstaaten der IHRA im November 2015 den Vorschlag der Schweiz angenommen haben. Schliesslich findet heute Abend anlässlich des Internationalen Gedenktags an die Opfer des Holocaust im Yehudi Menuhin Forum in Bern ein Gedenkabend statt, an welchem auch Vertreter des Parlaments und des Bundes das Wort ergreifen werden.
Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Aber wir können ein Zeichen setzen für eine Welt, in der die Würde der Menschen nicht eine Floskel, sondern gelebte .
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