Integration
Nadine Jürgensen: Die Schweiz braucht albanische Unternehmer
Diese Unternehmer:innen vereinen nicht nur verschiedene Kulturen, sie haben sich auch als anpassungsfähig und innovativ erwiesen – Qualitäten, die jedes Land brauchen kann.
Nadine Jürgensen arbeitet als Juristin, Journalistin und Unternehmerin. Sie ist Co-Gründerin von elleXX, einer Finanz-Beratungsplattform für Frauen, und engagiert sich bei WE/MEN für Frauenanliegen und die Gleichberechtigung von Frau und Mann.
Können Frauen besser Krise, weil sie empathischer sind?
NJ: Empathie, Menschenkenntnis und auf Augenhöhe kommunizieren zu können, sind Eigenschaften, die Frauen eher zugeordnet werden. Wer sie lebt, hat in der Krise bestimmt einen Vorteil, weil man so näher bei seinem Team ist, man zusammen den Druck besser aushält und fester zusammenwächst. Ich bin aber sicher, dass auch Männer diese Eigenschaften besitzen müssen, um Krisen besser zu meistern.
Lohnt es sich in Krisenzeiten überhaupt, Unternehmer*in zu sein?
NJ: Ja natürlich, gerade in schlechten Zeiten braucht es Menschen, die Ziele haben und andere motivieren können. Die Schweiz wird von starken KMU getragen, aufgeben ist da einfach keine Option.
Hast du – als Unternehmerin in Krisenzeiten – Wünsche und Forderungen an die Politik?
NJ: Ich habe ganz viele Wünsche und Forderungen an die Politik, nicht nur in Krisenzeiten! (? Grinst). Aber es wäre sicher sehr sinnvoll, wenn Gender Budgeting auch bei den Innovationsfonds des Bundes eingeführt werden würde – es kann doch nicht sein, dass weiblich geführte Start-ups viel weniger Venture Kapital erhalten, gerade von staatlicher Seite. Die Verfassung verlangt die Gleichbehandlung der Geschlechter, davon ist man im Schweizer Start-up Ökosystem noch weit entfernt.
Hilft oder schadet die Krise der Gleichberechtigung der Frauen in der Wirtschaftswelt?
NJ: Leider sind Krisen oft ein Rückschlag für die Sache der Frauen. Man hat es während der Corona-Pandemie gesehen: ein totaler globaler Backlash. Die Teilnahme am Arbeitsmarkt in den USA ist auf Werte in den 1980er Jahren zurückgefallen, viele Frauen haben ihre Jobs aufgegeben, als die Schulen geschlossen waren, weil sie noch immer weniger verdienen. Aber auch die Klimakrise oder der Krieg in der Ukraine haben Auswirkungen: Die UNO hat berechnet, dass es noch 300 Jahre dauern wird, bis Gleichstellung auf der Welt erreicht wird. Fehlende Bildung und wirtschaftliche Teilnahme gehen leider Hand in Hand mit der Armut.
Die schweiz-albanische Community ist stark unternehmerisch geprägt. Welche Qualitäten kann sie in die Schweizer Wirtschaft einbringen?
NJ: Ich freue mich, dass die Schweiz-albanische Community einen solchen Unternehmergeist zeigt! Diese Unternehmer:innen vereinen nicht nur verschiedene Kulturen, sie haben sich auch als anpassungsfähig und innovativ erwiesen – Qualitäten, die jedes Land brauchen kann.
Sie sind selber Finanz-Unternehmerin. Wie sehr haben Sie die letzten zwei, drei Jahre als Unternehmerin verändert? Was haben Sie in der Krise gelernt?
NJ: Ja, als Mitgründern von elleXX haben wir in den letzten Jahren jeden Tag Neues gelernt. Wir unternehmen jeden Tag Dinge, die wir noch nie zuvor gemacht haben. Das ist unglaublich bereichernd, abwechslungsreich und sehr intensiv. Aber natürlich gibt es auch Tage, da fragen wir uns: Und jetzt, wie weiter? Was machen wir nun? Ich selber habe gelernt, grossen Druck auszuhalten, bin aber sehr froh, dass wir ein starkes Gründerinnen-Team sind und uns auch gegenseitig stützen. Dazu kommt: Unsere Mitarbeiterinnen sind einfach toll. Wir ziehen alle an einem Strang. Es gibt immer einen Weg, auch aus einer vermeintlichen Sackgasse – oft kennen wir ihn einfach noch nicht. Und so gehe ich jeden Tag mit dem Vertrauen an, dass die beste Lösung erst noch kommt.
Wie sehen Sie die Zukunftsaussichten der Finanzbranche?
NJ: Es ist wie mit Toilettenpapier, das braucht man auch immer. Vielleicht nicht immer supersoft 5-lagig, aber Sie verstehen, was ich meine (grinst). Wir brauchen Geld für unser Leben, unsere Träume – noch wurde nichts Besseres erfunden, in welcher Form auch immer. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir aufgrund technologischer Möglichkeiten in Zukunft ein völlig neues System haben werden. Aber die Finanzbranche an sich wird es auch weiterhin geben. Investitionen, Kredite, Zahlungsverkehr, Hypotheken etc. – diese Geschäfte sind ein Grundbedürfnis.
Wie die des Unternehmertums?
NJ: Es hat immer wieder Krisen gegeben, aber wir Menschen haben nun einmal Bedürfnisse und die Unternehmen sind dazu da, diese zu befriedigen. Wirtschaft und Unternehmertum sind ja kein Selbstzweck, das wird es immer geben, weil es natürlich entsteht. Du hast etwas, das ich brauche – ich gebe dir dafür etwas im Austausch. Schon entsteht Wirtschaft und Unternehmertum im Kleinen. Konjunkturzyklen. Krisen etc. gab es immer und das sind sicher grosse Rückschläge für Unternehmen, aber wenn sie vorbei sind, entstehen auch wieder neue Chancen.
Und wie die der Schweizer Wirtschaft insgesamt?
NJ: Die Schweiz hat eine sehr gut ausgebildete Bevölkerung, eine hohe Arbeitsethik, eine grosse Innovationskraft und viel Kapital – aber natürlich sehe ich auch, dass wir bald in einen grossen Fachkräftemangel kommen werden. Es wäre sehr intelligent, wenn unser Land sich endlich dazu entscheiden könnte, die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern, weil bei den Frauen liegt ein sehr grosses, ungenutztes Potenzial. Die Unternehmen müssen sich zudem an die Arbeitsethik von jüngeren Generationen und an die Familien von Familien und Teilzeitarbeitnehmenden anpassen, und ich beobachte, dass das nicht allen leicht fällt. Als Wirtschaftsstandort ist die Schweiz zudem global eingebunden und deshalb ist die nächste Zukunft natürlich momentan nicht gerade rosig – auch wenn ich an den Klimawandel und die Auswirkungen denke. Aber ich bin überzeugt, dass wir langfristig den Wandel schaffen.
Was sind deine persönlichen unternehmerischen Ziele?
NJ: Momentan sind wir daran, die Finanzierung unserer Seed-Runde sicherzustellen. Die Venture Capitalists sind aber momentan sehr vorsichtig, weshalb es schwieriger ist als letztes Jahr, einen strategischen Partner an Bord zu holen, der mit uns auch in den nächsten Jahren wachsen wird. Aber auch das werden wir schaffen. Was danach kommt, mal sehen – ich denke immer in Etappenzielen. Der Weg ist das Ziel, sowieso. Enjoy the Ride. Wir haben es geschafft, in wenigen Monaten die grösste Schweizer Female Finance Community aufzubauen. Darauf dürfen wir stolz sein. Und wenn wir träumen dürfen, dann sicher, dass wir eines Tages die grösste Finanzplattform für Frauen in Europa sind.
Swissalbs Unternehmerpreis
Am 26. November 2022 vergibt #swissalbs, die Dachorganisation für die schweizerisch-albanische Community, zum zweiten Mal in Zürich den swissalbs Unternehmerpreis. In der Jury sind FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt, Vllaznim Xhiha, Nadine Jürgensen, Roland Brack und Jeton Tola.
albinfo.ch ist Mediensponsor der Veranstaltung.
Michel Pernet hat namens von #swissalbs mit den Jury-Mitgliedern je ein Interview gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation und zu ihrer unternehmerischen Vita geführt.
Weitere aus Integration
E-Diaspora
-
Albanischer Ärzteverband Schweiz startet Mentorenprogramm für Nachwuchsärzte Der Präsident des Albanischen Ärzteverbands der Schweiz, Dr. med. Mentor Bilali, hat konkrete Pläne, den Verband...
-
Die Helvetier empfangen die Dardaner in Bern
-
Shasime Osmani tritt als albanische und migrantische Stimme für die SP im Berner Stadtrat an
-
Fotoausstellung “Realities of War: Kosova’s Quest for Liberation”
-
Die Diplomatische Kunst von Shuk Orani: Eine strategische kulturelle Initiative in der internationalen Diplomatie
Leben in der Schweiz
-
UN Tourism zeichnet Romoos und Splügen als «Beste Tourismusdörfer» aus Damit kann sich der Schweizer Tourismus bereits über insgesamt 9 Dörfer mit diesem Label erfreuen...
-
Albanischer Ärzteverband Schweiz startet Mentorenprogramm für Nachwuchsärzte
-
25 Jahre SWISSCOY: Jahresrapport Kompetenzzentrum SWISSINT
-
Die Schweiz lanciert ein Projekt zur Senkung der Mütter- und Kindersterblichkeit in der DRK
-
Shasime Osmani tritt als albanische und migrantische Stimme für die SP im Berner Stadtrat an