Integration
Mehrfachzugehörigkeit, Mediennutzung und Sprache, ein Medienpädagoge gibt Einblicke
Im Interview mit Albinfo berichtet uns Peter Holzwarth, wie der Erhalt der Muttersprache mit Mediennutzung zusammenhängt und was Mehrfachzugehörigkeit bedeuten kann
In der Porträtreihe zu den Themen rund um die Schweizer Volksschule machen wir bei Peter Holzwarth Halt. Er ist Medienpädagoge und im Rahmen seiner Arbeit als Dozent Mitautor verschiedener Lehrmittel für Kosovo, Nordmazedonien und die Republik Moldova https://ipe-textbooks.phzh.ch/de/albanien/ . Auch führte er bei einer Studienreise angehende Schweizer Lehrpersonen durch wichtige Stationen des Bildungssystems von Kosovo, wie beispielsweise in Gilan.
Der «richtige» Umgang mit Medien beschäftigt nicht nur Lehrpersonen, sondern auch Eltern von schulpflichtigen Kindern. Im Interview mit Albinfo berichtet uns Peter Holzwarth, wie der Erhalt der Muttersprache mit Mediennutzung zusammenhängt und was Mehrfachzugehörigkeit bedeuten kann.
In einem europaweiten Forschungsprojekt untersuchten Sie das Nutzungsverhalten der Medien bei Migrantenkindern. Welche Rolle spielte dabei die Sprache?
Im Rahmen meiner Promotion arbeitete ich in einem internationalen Forschungsprojekt, welches das Nutzungsverhalten von Medien bei Kindern mit Migrationshintergrund untersuchte – sowohl der rezeptive als auch der produktive Umgang (z. B. Filme anschauen und Filme selbst produzieren). Die besondere Ausgangslage bei diesen Kindern und Jugendlichen war, dass sie eine andere Erst- bzw. Muttersprache mitbrachten. Heranwachsende, die sich sowohl auf Deutsch als auch in ihrer Erst- bzw. Muttersprache ausdrücken können, fühlen sich unter Umständen zwei verschiedenen Medienwelten zugehörig. Die Nutzung von deutschsprachigen Medien erfüllt eine Art Integrationsfunktion für die Kinder. Durch die Nutzung von Medienangeboten aus dem Herkunftsland können sie ihre Erstsprache erhalten und weiterentwickeln. Globale Medienangebote als drittes Element sind wichtig für eine jugendkulturelle Identifikation jenseits von Nationen. Die Hip-Hop-Jugendkultur und Rap-Musik wären ein Beispiel.
https://ipe-textbooks.phzh.ch/de/albanien/
Ohne die Beherrschung der Muttersprache kann man sich weder in den jeweiligen Medienlandschaften ausdrücken noch diese Medieninhalte nutzen. Das ist so weit logisch, doch was hat das mit der Zugehörigkeit zu tun?
Es passiert immer noch manchmal, dass Kinder und Jugendlichen die Entweder-oder-Frage gestellt bekommen: «Bist du jetzt eigentlich Albaner (Kosovare) oder Schweizer?»
Diese Frage ist aus meiner Sicht eine Zumutung, und die damit verbundene Sichtweise scheint mir überholt. Menschen mit und ohne Migrationserfahrung können ihre Identität auf verschiedene kulturelle Kontexte beziehen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Patchworkidentität und Mehrfachzugehörigkeit. Menschen können sowohl Albaner als auch Schweizer sein. Und: Menschen können sowohl Bündner als auch Zürcher sein.
Diese Mehrfachzugehörigkeit kann durch Mediennutzung und Sprache zum Ausdruck kommen. Im Spielfilm «Almanya» https://youtu.be/1c4RSeebfgs wird gezeigt, dass Mehrfachzugehörigkeit als Option auch gelernt werden kann bzw. gelernt werden muss. In einer Filmszene fragt ein Junge mit türkischen Wurzeln in Deutschland in einer Familiensituation: «Was sind wir denn jetzt, Türken oder Deutsche?» Seine erwachsene Cousine antwortet nach einigem Hin und Her: «Chenk, man kann auch beides sein. So wie du!» Ich würde mir wünschen, dass auch Lehrpersonen das Konzept der Mehrfachzugehörigkeit kennen und Schülerinnen und Schüler auf diese Identifikationsmöglichkeit hinweisen. Teilweise verkörpern Lehrpersonen auch selbst Mehrfachzugehörigkeit und sie leben diese den Schülerinnen und Schülern vor.
https://ipe-textbooks.phzh.ch/de/life-skills/
Ein guter und positiver Umgang mit Medien wird auch in der Volksschule grossgeschrieben. Was raten Sie Eltern, die ihre Kinder bezüglich eines sicheren Umgangs mit Medien unterstützen wollen?
Es ist wichtig, sich als Eltern oder Bezugspersonen für die Medienthemen und Medienwelten der Kinder zu interessieren. Es ist sinnvoll, nachzufragen und sich Medienphänomene erklären zu lassen. So kann Verstehen ermöglicht werden. Wichtig ist aber auch, bestimmte Medienbereiche als Privatsphäre zu akzeptieren – vor allem bei Jugendlichen ist das wichtig. In der Pubertät haben Medien auch die Funktion, sich von der älteren Generation abgrenzen zu können.
Oft haben Kinder und Jugendliche das Gefühl, dass das, was sie im Internet posten, nur die eigenen Freundinnen und Freunde sehen und hören. Aber es gab schon Fälle, bei denen Bewerbungen abgelehnt wurden, weil Social Media Postings, die öffentlich zugänglich waren, ein negatives Bild über die Bewerber erzeugt haben. Junge Menschen könnten sich vor dem Posten auf Social Media fragen: «Könnte ich diesen Text auch mit einem Megafon auf dem Bundesplatz in Bern ausrufen?» Eine ähnliche Frage kann man sich bei Selfies und anderen persönlichen Bildern stellen: «Würde ich das Foto auch so stehen lassen, wenn es auf Plakaten mitten in der Stadt veröffentlicht würde?».
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