Integration
Jacqueline Fehr: Darum haben wir das “Alba-Festival” abgesagt
Wieso die Entscheidung für eine kurzfristige Absage fiel und inwiefern sie sich dafür entschuldigen sollte, verriet sie uns im Exklusivinterview
Die Regierungspräsidentin des Kantons Zürich, Jacqueline Fehr, fand sich nach der Absage des Alba Festivals im Gefecht der Medien. Sowohl von der SP als auch von der SVP erntete die Direktorin der Justiz des Innern des Kantons Zürich harsche Kritik. Wieso die Entscheidung für eine kurzfristige Absage fiel und inwiefern sie sich dafür entschuldigen sollte, verriet sie uns im Exklusivinterview.
albinfo.ch: Was war der ausschlaggebende Grund für die Absage des Alba-Festivals?
Jacqueline Fehr: Der Hintergrund ist die bedrohliche epidemiologische Lage. Die Intensivpflegestationen sind stark belegt, die Spitäler sind an der Belastungsgrenze angekommen. In dieser Situation war eine Bewilligung des Alba-Festivals aus zwei Gründen problematisch. Erstens, weil es sich dabei um ein grosses Festival mit vielen Besucherinnen und Besuchern handelt, welche auf einem begrenzten Gelände zirkulieren, tanzen, singen und laut miteinander sprechen. Ähnliche Anlässe wie die Ersatzveranstaltung für das Openair Frauenfeld oder das Zurich Openair wurden von den Veranstaltern oder den Behörden abgesagt. Zweitens richtet sich das Alba-Festival an eine aktuell besonders gefährdete Bevölkerungsgruppe. Wer im nahen Umfeld von Menschen lebt, die einen Teil des Sommers in Ländern Südosteuropas verbracht haben, ist aktuell einem überdurchschnittlich hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Das zeigen die Zahlen aus dem Contact Tracing und Rückmeldungen aus unseren Spitälern.
Unter welchen Umständen hätte die Absage umgangen werden können?
Wir mussten rasch entscheiden, weshalb die Zeit fehlte, um zusammen mit den Veranstaltern andere Lösungen zu prüfen.
Die Gemüter sind auch aufgrund der Tatsache erhitzt, dass an diesem Samstag einige Technopartys und sogar die Pride mit mehreren zehntausend Teilnehmer*innen stattfinden durften. Inwiefern unterscheiden sich diese Events zum Alba-Festival?
Ich verstehe sehr gut, dass es schwierig ist, das zu unterscheiden. Die Pride ist als politische Veranstaltung eingestuft; solche dürfen laut Covid-Vorschriften immer stattfinden. Anders ist es bei kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen. Diese müssen abgesagt werden, wenn das Risiko zu hoch ist. Und das war beim Alba-Festival nach Einschätzung der Fachleute der Fall.
Sie erhalten zurzeit harsche Kritik von Seiten der SVP und sogar der SP, betreffend der kurzfristigen Absage des Festivals, die Widerrufung der Bewilligung sei höchst irritierend, möchten Sie hierzu Stellung nehmen?
Ich kann den Unmut über den Widerruf sehr gut verstehen. Ich bedaure sehr, dass wir das Festival absagen mussten. Und es tut mir auch sehr leid, dass das so kurzfristig geschah. Dieser Umstand macht die Situation besonders schwierig, sowohl für die Veranstalter als auch für das Publikum, welches sich auf ein tolles Festival gefreut hatte. Wir haben uns den Entscheid nicht leicht gemacht. Doch wir kamen, nachdem wir alle Aspekte sorgfältig abgewogen hatten, zur Überzeugung, diesen Schritt tun zu müssen.
Der albanische Rat verlangt hinsichtlich der kurzfristigen Absage eine Entschuldigung Ihrerseits, inwiefern sind Sie, als Repräsentantin dieser Entscheidung, dazu bereit?
Ich bin sehr unglücklich darüber, dass wir die Bewilligung erst zwei Tage vor dem Anlass zurückgezogen haben. Rechtlich kann ich mich nicht entschuldigen, weil das Gesetz sagt, dass eine Veranstaltung von den Behörden jederzeit, also sogar am Tag der Veranstaltung selber, abgesagt werden kann. Das wissen alle Veranstalter, weil das auf jeder Bewilligung so steht. Persönlich möchte ich mich aber sehr wohl dafür entschuldigen, dass wir die Bewilligung nicht bereits eine Woche früher widerrufen haben.
Dass unsere Begründung des Widerrufs als diskriminierend wahrgenommen wird, nehme ich sehr ernst. Ich habe mich mein ganzes politisches Leben lang für eine inklusive Gesellschaft, für die Integration und Chancengleichheit aller Menschen in der Schweiz und gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus eingesetzt. Dementsprechend schmerzt mich der Diskriminierungsvorwurf. Ich möchte deshalb unser Vorgehen unter dem Diskriminierungsaspekt unabhängig überprüfen lassen und habe die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus um eine Beurteilung gebeten. Damit können wir hoffentlich alle aus den gemachten Erfahrungen lernen.
Gibt es weitere Events, die kurz vor einer Absage stehen, sollte sich die Situation nicht verbessern?
Die zuständigen Fachleute sind laufend daran, die bewilligten Veranstaltungen unter dem Gesichtspunkt der epidemiologischen Lage zu überprüfen. Wir bemühen uns, dies so frühzeitig wie möglich zu tun. Es soll kein zweites Mal zu einem so kurzfristigen Widerruf kommen.
Welchen Stellenwert hat die Impfbereitschaft der albanisch sprechenden Bevölkerung?
Die Impfung ist der beste Schutz gegen die Pandemie. Je mehr Menschen sich impfen lassen, desto normaler wird unser Leben wieder. Der Kanton Zürich strebt darum eine möglichst hohe Impfquote an. Der Regierungsrat versucht auf den verschiedensten Wegen an die Menschen zu gelangen und sie zum Impfen zu motivieren. Insofern hat für uns die Impfbereitschaft aller Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons einen sehr hohen Stellenwert – also auch jene der albanisch sprechenden Bevölkerung.
Haben Sie konkrete Zahlen vorliegen, die aufzeigen, wie viele Albaner*innen sich schon geimpft haben?
Die Spitäler, die am nächsten an der Situation dran sind, melden uns, dass neun von zehn Patienten, die wegen einer Covid-Erkrankung hospitalisiert werden müssen, ungeimpft seien. Und die wissenschaftliche Taskforce des Bundes schrieb in ihrem Update vom 24. August, dass von den 40 Prozent aller Hospitalisierten, die Angaben zum vermuteten Ansteckungsort gemacht haben, 80 Prozent den Kosovo oder Nordmazedonien genannt haben. Das lässt Rückschlüsse auf eine tiefe Impfquote zu.
Welche Massnahmen werden ergriffen, um die albanische Community besser aufzuklären und zur Impfung zu animieren?
Es läuft viel und das seit dem Frühling 2020. Die Fachstelle Integration meiner Direktion hat alle wichtigen Behördeninformationen in zahlreiche Sprachen übersetzt und der Gesundheitsdirektion zur Verfügung gestellt. Diese hat Plakate und Flyer in verschiedenen Sprachen gedruckt – auch auf Albanisch. Die Gemeinden versuchen über ihre Kanäle die einzelnen Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Es gibt ausserdem Bemühungen von Sportvereinen, Religionsgemeinschaften und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft. Und vor allem gibt es auch starke Anstrengungen aus der albanischen Community selber – ich denke etwa an den Impfaufruf, den albinfo.ch zusammen mit prominenten Frauen und Männern realisiert hat. Für dieses Engagement möchte ich mich im Namen der Regierung herzlich bedanken.
Wie gravierend ist die Covid-Situation im Kanton Zürich zurzeit?
Die Situation ist angespannt. Über 90 Prozent der Intensivbetten sind im Kanton Zürich besetzt. Das Triemlispital muss Operationen verschieben. Wir befinden uns weiterhin in einer kritischen Lage. Wir alle stehen in der Verantwortung, mitzuhelfen, dass sich die Situation nicht weiter verschärft, sondern wieder entspannt. Wir alle können einen Beitrag dazu leisten: Lassen wir uns impfen und motivieren wir unsere Eltern, Freundinnen und Fussballkollegen dazu. Ich danke allen, die sich impfen lassen.
Interview wurde von Adriatik Salihi durchgeführt
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