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Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust
Botschaft von Bundespräsident Alain Berset zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust
Mehr als ein Dreivierteljahrhundert nach der Befreiung der Konzentrationslager sollte die historische Wahrheit über die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands unumstritten sein. Dennoch ist immer wieder zu beobachten, dass die Geschichte zu unheilvollen Zwecken umgeschrieben wird. So zieht Russland, um seine militärische Aggression gegen die Ukraine zu rechtfertigen, eine verbrecherische Parallele, indem es behauptet, die demokratisch gewählte Regierung in Kiew bestehe aus Nazis. Diese angebliche «Entnazifizierung» ist nicht nur ein plumper Vorwand, um das Nachbarland zu dämonisieren und anzugreifen. Sie ist auch eine Verdrehung der Geschichte und zeugt von einem eklatanten Mangel an Respekt gegenüber den Opfern von Nazi-Deutschland.
Die Geschichtsverfälschung macht die Erinnerungsarbeit nötiger denn je. Wenn die Orientierung verloren geht, wenn Verantwortlichkeiten verschwimmen, wenn Verschwörungstheorien an die Stelle von Fakten treten, besteht eine reale Gefahr. Aus diesem Grund müssen wir aufklären, reflektieren und diskutieren – und dies unablässig.
Die Wahrheit zu verteidigen und der Holocaust-Opfer zu gedenken – das bedeutet heute auch, den Geist des Widerstands und der Tapferkeit zu würdigen. Vor 80 Jahren begann der Aufstand im Warschauer Ghetto. Im Januar 1943, als fast 300 000 Menschen bereits in die Vernichtungslager deportiert worden waren, attackierte eine kleine Gruppe von jüdischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern, mit Pistolen bewaffnet, Nazi-Wachen. Alle Kämpferinnen und Kämpfer starben, aber diese mutige Tat bestärkte die Bewohnerinnen und Bewohner des Ghettos darin, Widerstand zu leisten, indem sie sich den Befehlen widersetzten, sich versteckten und unterirdische Bunker bauten.
Nachdem die Nazis die Deportationen für eine Weile unterbrochen hatten, beschlossen sie, sie im April wieder aufzunehmen. Sie lösten damit einen Aufstand aus. Und obwohl sie den Aufständischen weitaus überlegen waren, verzeichneten sie zahlreiche Verluste und konnten den Widerstand erst nach 27 Tagen erbitterten Kampfes brechen. Das Ghetto wurde schliesslich dem Erdboden gleichgemacht und mehr als 40 000 Überlebende wurden deportiert und ermordet.
Diese kollektive Entscheidung, sich der Brutalität der Nazis zu widersetzen, trotz der äusserst ungünstigen Machtverhältnisse, ist ein mutiger Akt, der bis heute nachhallt. Das Beispiel der Warschauer Widerstandskämpferinnen und -kämpfer zeigt uns den Wert der menschlichen Würde und erinnert uns an unsere eigene Verantwortung: die Verantwortung, uns mit all unseren demokratischen Mitteln Antisemitismus, Rassismus und Barbarei entgegenzustellen, entschieden und unmissverständlich.
Die Situation, mit der wir uns heute konfrontiert sehen, ist zwar eine ganz andere, doch wir leben in Zeiten der Instabilität, die dazu verleiten, andere auszugrenzen oder sich auf sich selbst zurückzuziehen. Wir müssen daher unsere Bemühungen im Kampf gegen Diskriminierung, Hass und Gewalt verstärken und wir müssen den gegenseitigen Respekt, die Vielfalt und den Dialog fördern. Das erfordert Entschlossenheit und Beharrlichkeit.
Der Bundesrat setzt sich klar für diese Werte ein – sowohl in der Schweiz als auch in den internationalen Gremien, in denen die Schweiz für die Achtung der Menschenrechte, den Schutz der Zivilbevölkerung und einen dauerhaften Frieden eintritt. Mit dem Ziel, diese Werte, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zu fördern, wurde die Schweiz am 1. Januar 2023 zum ersten Mal in ihrer Geschichte Mitglied des UNO-Sicherheitsrats. Wir dürfen nicht aufhören, uns die Lehren ins Bewusstsein zu rufen, die aus der Geschichte des Holocaust gezogen werden müssen. Wir alle müssen uns immer und überall dafür einsetzen, dass sich Antisemitismus und Rassismus nicht ungehindert ausbreiten können.
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