Frauen

Integration setzt Anstrengung und Selbstvertrauen voraus

Die Integrationsschwierigkeiten junger Albanischsprachiger im schweizerischen Schulsystem. Zum Beispiel Eleonora aus Medvegjë.

Ein altes lateinisches Sprichwort heisst “per aspera ad astra”, was übersetzt “über steinige Wege zu den Sternen” bedeutet. Einen solchen Weg geht auch Eleonora Asanoviq, eine 23-jährige Frau, die bis zu ihrem zehnten Altersjahr in Medvegjë in Südserbien, unmittelbar an der Grenze zu Kosova, aufwuchs und im Jahr 2000 während des Krieges im dortigen Preshevatal mit ihrer Familie als Asylsuchende in die Schweiz kam.

Nach kurzer Zeit entschieden die Behörden, dass Eleonora in die dritte Klasse der Primarschule eintreten und gleichzeitig intensiven Deutschunterricht erhalten sollte.

“Anfangs war es nicht leicht”, erzählt Eleonora. “Wir waren in einem Haus, einem Heim für Asylsuchende mit vielen verschiedenen Menschen untergebracht. In der Schule übersetzte eine albanische Schülerin in meiner Klasse für mich, und zum Glück war unser Lehrer – er war sechzig – ein sehr lieber Mensch, der immer Verständnis hatte. Ich war sehr interessiert, so schnell wie möglich die Sprache zu lernen, die wie eine wichtige Türe für meine Integration, meine Kontakte und späteren Erfolge war. Zu Beginn las ich einfache Bücher, Märchen auf Deutsch, und so lernte ich schnell Deutsch. Dann begann ich auch mit den Klassenkameradinnen und -kameraden zu sprechen, die sich sehr gut zu mir verhielten.

Nach sechs Monaten “kamen wir in den Transfer” in eine kleine Stadt, Breitenbach. In der Schule gab es Unterschiede gegenüber der vorherigen Schule. Zwischen den Schülern gab es Trennlinien, Gruppierungen. Die Gruppen bestanden entweder aus ausländischen oder aus schweizerischen Kindern oder aus ausländischen und schweizerischen Kindern, die entweder eine Mutter oder einen Vater aus dem Ausland hatten. Von den albanischsprachigen Kindern in der Schule hatten fast alle eine ordentliche Aufenthaltsbewilligung und waren dermassen “integriert”, dass sie sich als Schweizer ausgaben.

Zwischen den Gruppen gab es Hänseleien, auch ich habe hin und wieder Spott erlebt, doch das ging vorüber, war typisch Kinder. Von Natur her haben mir Gruppierungen und Trennungen nie gefallen. In der 5. und 6. Klasse erfand ich meinen eigenen “RNB und Hip-Hop”-Stil, ich zeichnete schöne, kaufte moderne Kleider und wurde bekannt. Doch eines lernte ich, dass nämlich gute schulische Leistungen am wichtigsten waren, denn nur so gewann ich den Respekt von allen.

In der Schweiz ist das Schulsystem anders strukturiert

Nach der Primarschule oder der sechsten Klasse kommt die Mittelschule. Diese wurde dann in verschiedene Niveaus eingeteilt, zumindest in Breitenbach, in die Oberschule, oder die Realschule, wie sie in andern Kantonen genannt wird, dann kommt die Sekundarschule, die Bezirksschule und das höchste Niveau, das Progymnasium. Schwächere Schulen als diese sind die Kleinklasse und die Werkklasse. Von Gesetzes wegen bestimmt der Notendurchschnitt, in welches dieser Schulniveaus du eingeteilt wirst. Je höher die Noten, desto höher das Niveau.

Auf die Frage, ob es Lehrer oder Pädagoginnen gab, die die Schüler ermutigten, voranzukommen, und ob Eleonora so jemanden gehabt habe, antwortete sie: “Alle Lehrerinnen verhielten sich zu allen Schülerinnen gleich. Sie informierten uns und unsere Eltern an Elternabenden über die weiteren Bildungsmöglichkeiten, doch es gab keine individuellen Gespräche mit jedem von uns. Auch ich hatte niemanden in der Schule, der mir speziell geholfen hätte.

Da mir die Note in Mathematik fehlte, stuften sie mich zuerst in die Oberschule ein. Nach einiger Zeit verbesserte ich die Noten und trat auf ein besseres Niveau über – in die Sekundarschule, dann wurde mein Notendurchschnitt noch besser und ich kam in die Bezirksschule. Dieses Vorwärtskommen dauerte fünf Jahre, und hatte positive und negative Seiten. Gut war, dass ich auf höhere Niveaus kam, doch schlecht war, dass ich jedes Mal ein Jahr wiederholen musste und dadurch immer älter als die Generation meiner Klasse wurde. In dieser ganzen, nicht beneidenswerten Situation war es mein Glück, dass ich eine enge albanische Freundin hatte, mit welcher ich gemeinsam den gleichen Weg verfolgte, doch zwischen uns beiden und den andern der Klasse gab es keine besonders grosse Verbundenheit, wegen des Altersunterschieds. Die andern waren im Vergleich zu uns beiden sehr jung.”

Ich hatte einen N-Ausweis und konnte nicht ausserhalb der Schweiz reisen

“Meine Schulfreundinnen und -freunde”, erzählt Eleonora, “verbrachten ihre Ferien ausserhalb der Schweiz, aber ich nicht. Diese Situation war für mich seelisch schwierig, denn ich musste zuhause bleiben und fernsehen, während meine Generation in der Welt herumspazierte. Als ich kleiner war, schämte ich mich oft und belog die andern Kinder in der Klasse, dass ich angeblich Probleme mit meinem serbischen Pass hätte und deshalb nicht ins Ausland reisen könne. Irgendwann begann ich diese Situation als einigermassen normal zu akzeptieren. Mit der Zeit bekamen wir als Familie eine Aufenthaltsbewilligung “B” und den Schweizer Pass.”

Wie viel Unterstützung bekamst du von deinen Eltern, Eleonora?

“Heute denke ich diesbezüglich, dass Mami falsche Methoden wählte, um mich zum Erfolg zu motivieren. Oft schrie sie mich an, dass ich, wenn ich nicht gut lernen würde, die Schule abbrechen und eine Arbeit suchen müsse. Dann hielt sie mir Lektionen, dass ich mich ja nie in einen Jungen fremder Herkunft verlieben dürfe, sondern nur in einen Albaner. Sie hatte früher eine gefährliche Operation gehabt, und ihre Drohungen, dass ich ihre Gesundheit verschlechtern würde, wenn ich so etwas täte, brachten mich wirklich dazu, mich ganz schlecht zu fühlen. Ich hatte keine Prätentionen dieser Art, und dieser Druck bewirkte, dass ich die Orientierung, die ich geplante hatte, verlor. Oft verbrachte ich die Nächte schlaflos und weinend. Doch ich glaube, dass Mami aus Ängstlichkeit so handelte, und heute verzeihe ich ihr das, denn sie wollte mein Bestes innerhalb unserer albanischen Realität.”

Später besuchte ich in eine Schule auf gymnasialem Niveau

“Nach der Bezirksschule besuchte ich eine Schule, die ‘Fachmaturität Schule’ heisst, am Gymnasium in Münchenstein in Baselland. Dort hatte ich meine enge Freundin nicht; sie fehlte mir, wie auch mein übriger früherer Freundeskreis. Ich war der mehrmaligen Klassenwiederholungen über fünf Jahre hinweg sehr überdrüssig. Die Schule und die Kriterien waren sehr schwierig und ich spürte, dass ich nicht motiviert war, im gleichen Tempo weiterzumachen. Ich machte eine bewusste Pause, in der ich mich fand und aufraffte. So begann ich nach drei Monaten wieder in der gleichen Schule mit dem einzigen Ziel, “den Kopf hoch zu tragen und die Schule so schnell wie möglich abzuschliessen”. Und das gelang mir.

Zur Zeit beende ich ein einjähriges Praktikum im Institut für Pathologie an der Universität Basel und ich schreibe meine Maturarbeit. Sie ist eine Voraussetzung für das Studium der  Molekularwissenschaften an der Naturwissenschaftlichen Fakultät, wo ich angenommen wurde.

An diesem Institut sind alle Kollegen sehr gut und fähig, es gibt viele Doktorandinnen und die meisten kommen aus dem Ausland. Der Betreuer meiner Maturarbeit ist deutscher Herkunft. Er beriet und motivierte mich, voran zu kommen, und ich bin ihm sehr dankbar.

Meine Botschaft an die Jungen

Im Leben musst du kämpfen, auch wenn nicht alles läuft, wie wir es geplant haben und die Sonne sich hinter den Wolken versteckt. Das Leben ist wie ein Kardiogramm mit Hochs und Tiefs. Jede Situation, die im Leben entsteht, hat in sich etwas Positives, wenigstens eine Erfahrung, die uns stärker macht, doch du musst Kraft, Energie und Motivation suchen, um voran zu kommen. Die Schweiz und unsere Landsleute brauchen uns, als intellektuelles Potenzial, deshalb dürfen wir uns nicht aufgeben, denn wir haben es selbst in der Hand.

Silvije Buçaj Shehi, Kriminologin in der Schweiz