Integration

Fragen der Identität: Wo endet die Albanerin, wo beginnt die Schweizerin?

Sie sind zwischen zwei Kulturen und haben deshalb eine reichhaltigere Identität als andere. Doch manchmal führt dies auch zu Schwierigkeiten ... So lautete zumindest eine Aussage des Podiumsgesprächs von albinfo.ch in St. Gallen zum Thema Secondos.

„Ist es besser hier oder dort?“ war der Titel des Dokumentarfilms der Autorin Elena Avdija, der im Rahmen des Podiumsgesprächs zum Thema „Secondas, Mehrfachidentitäten ohne Komplexe“ in St. Gallen gezeigt wurde. Organisiert war der Abend von albinfo.ch.

Der Film konfrontiert die jungen in der Schweiz aufgewachsenen Albanerinnen und Albaner mit der quälenden Frage: „Ist es besser hier (in der Schweiz) oder dort (in Kosova)?“ Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, beschreiben die porträtierten Jugendlichen anschaulich die Erfahrungen mit den Herausforderungen in dem Land, wo sie leben.

Eine der Protagonistinnen des Films, Kosovare, führt dem Publikum in ihrem spontanen und berührenden Bericht in  aller Schärfe die Widersprüche vor Augen, die zwischen „hier“ und „dort“ bestehen. Ähnlich zeigt sich die doppelte Identität der Secondos auch bei den andern Personen im Film. Sie versuchen, ihre komplexen Identitäten zu definieren, wobei sie immer wieder sagen, sich sowohl als Albaner wie als Schweizer zu fühlen. Manchmal kommen sie zum Schluss, dass diese Stellung sie bevorteilt und bereichert, da sie eine Identität mehr als die anderen haben und so die Dinge aus einer objektiveren Perspektive heraus betrachten können, als Albanerinnen wie auch als Schweizerinnen. Doch manchmal führt das alles auch zu Problemen …
Insgesamt bearbeitete die Autorin die Materie der mehrfachen Identitäten mit Sensibilität und Fantasie; offensichtlich kennt sie diese Art Identität und ist diese Teil ihres Lebens: Elena Avdija gehört selbst der zweiten Generation an.
Erzählungen über Vorurteile und ihre Überwindung

Arbër Bullakaj kam als Achtjähriger mit den Eltern in die Schweiz, Blerim Bunjaku lebt ebenfalls seit diesem Alter in der Schweiz. Qëndresa Sadriu kam in der Schweiz zur Welt, ihre Eltern sind Albaner, während Etrit Hasler von seiner halbalbanischen Herkunft (väterlicherseits) erfuhr, als er fast Zwanzig war. Mit Ausnahme Haslers identifizieren sich alle drei als „Secondos“ bzw. als „Seconda“, Ausländer der zweiten Generation, und erlebten am eigenen Leib die Vorurteile, die sich mit dieser Kategorie von Ausländern verbinden.
Sie nahmen zusammen am Podiumsgespräch von albinfo.ch am 6. Juni in St. Gallen teil. An der Diskussion, die von Klodina Guraziu, ebenfalls Angehörige der zweiten Generation, moderiert wurde, nahm auch Peter Tobler, Integrationsbeauftragter der Stadt St. Gallen, teil.
Bekim Dalipi eröffnete im Namen von albinfo.ch das Podiumsgespräch.

Die Diskussionsteilnehmer schilderten ihre Erfahrungen mit dem Konzept „Secondas, Secondos“ aus eigener Perspektive. Qëndresa Sadriu beispielsweise – die jüngste Podiumsteilnehmerin – gewann, erst 19-jährig, bei den Wahlen in Glattbrugg (ZH) letzten März einen Sitz im Stadtparlament. Obwohl in der Schweiz geboren, machte auch sie einige schlechte Erfahrungen als „Ausländerin“. Wie viele andere Gleichaltrige ausländischer Herkunft musste auch Qëndresa hunderte von Bewerbungen schreiben, um zur gewünschten Berufsausbildung zu kommen. Auch vorher schon sah sie sich den Vorurteilen ihrer Lehrerin gegenüber, die ihr gesagt hatte, dass „sie zufrieden sein solle“ mit irgendeinem Arbeitsplatz und dass „sie nicht für eine höhere Ausbildung sei“.
Trotzdem liess sie sich nicht entmutigen und erreichte, was sie heute ist: Sie ist die jüngste Volksvertreterin ihrer Gemeinde und macht nächstens die Matur. Qëndresa betonte, sie achte ihre Wurzeln als Albanerin aus Kosova, doch sie fühle sich als Schweizerin, vollständig gleichberechtigt mit den andern schweizerischen Bürgerinnen und Bürgern.

Etrit Hasler, St. Galler Kantonsrat, Dichter und bekannter Journalist, erzählte seine interessante Geschichte der späten Bekanntschaft mit seiner albanischen Herkunft. Er betonte, dass sich die Ausländer nicht ihrer Namen wegen minderwertig fühlen sollen. Laut ihm bürgern sich sowohl die albanischen wie auch die andern ausländischen Namen nach einer gewissen Zeit ein und gelten danach als schweizerische Namen.
Welches ist unser Zuhause: Die Schweiz oder Kosovo?

Wo sind wir zuhause: in der Schweiz oder in Kosova? Das ist die Frage, die viele Menschen ausländischer Herkunft in der Schweiz beschäftigt, und vor allem jene der zweiten Generation. Blerim Bunjaku, erfolgreicher Unternehmer im IT-Bereich und ehemaliger Kandidat der EVP für das Winterthurer Stadtparlament, hat diese Frage oft selbst erfahren. „Wenn wir in der Schweiz sind und uns darauf vorbereiten, nach Kosova zu gehen, fragen mich meine kleinen Kinder: ‚Papa, wann gehen wir nach Hause?’ Doch das Gleiche passiert, wenn wir in Kosova sind und sie sich nach der Schweiz sehnen. Sie fragen mich wieder: ‚Papa, wann gehen wir nach Hause?’ “ Das macht die alte Frage danach, wo wir zuhause sind, tatsächlich komplexer: in der Schweiz oder in Kosova?

Ähnlich beschreibt einen solchen Widerspruch auch die Moderatorin, Klodina Guraziu. Sie schildert einen Videoclip auf Youtube. Ein kleiner albanischer Knabe wird in der Schweiz  auf Deutsch gefragt: „Bist du Ausländer?“ Er antwortet ohne viel nachzudenken: „Nein, ich bin Albaner.“ Auch hier zeigen sich die doppelten Identitäten der Ausländer und insbesondere der Albaner in der Schweiz.

Arbër Bullakaj, Mitglied im Stadtparlament von Wil, sprach über seine Kindheit als Ausländer in der Schweiz und die Schwierigkeiten am Anfang. Er hob die besondere Situation einer Stadt wie Wil hervor, wo die Albaner zwölf Prozent der Bevölkerung bilden.

Der Integrationsbeauftragte der Stadt St. Gallen, Peter Tobler, bestritt nicht, dass Ausländerinnen und Ausländer in der Beziehung mit Einheimischen in unerwünschte Situationen geraten können. Doch er appellierte mehrmals im Verlauf der Diskussion an die Albaner, sich hartnäckiger und engagierter am gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes, in dem sie leben, zu beteiligen. Auf diese Weise würden sie, so Tobler, zum Abbau der Vorurteile, die andere gegen sie hegen, beitragen.

An der Diskussion beteiligten sich viele Anwesende. Sie stellten den Podiumsteilnehmern Fragen zu verschiedenen Aspekten der Themen Ausländerintegration, Bewahrung der Kultur des Herkunftslandes, Vorurteile der Einheimischen etc.
Zum Abschluss sang Heltin Guraziu einige albanische Lieder und begleitete sich auf der Gitarre.