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Eine Kompanie fordert den Tod heraus

150 Menschen verloren ihr Leben, weil sie auf eine Mine getreten waren, und 450 weitere werden aus demselben Grund ihr Leben lang behindert bleiben. Damit die Menschen sich frei bewegen können, fordern 126 Minenräumungsfachleute jeden Tag den Tod heraus.

Eine Kompanie von 126 Männern und Frauen Kosovas kämpft jeden Tag gegen den Tod. Versprengt in alle vier Himmelsrichtungen suchen diese jungen Frauen und Männer unter der Leitung von Kapitän Sejdi Krasniqi ganz Kosova ab, um die todbringenden Überbleibsel des letzten Krieges aufzuspüren und zu vernichten.

Es handelt sich um die Minenräumungskompanie der Sicherheitskräfte Kosovos (FSK), die jene Schlachtfelder räumt, auf welchen vierzehn Jahre zuvor die blutigsten Kämpfe im Balkan stattgefunden hatten.

Die Folgen jenes Krieges, den der wegen Völkermord angeklagte ehemalige Präsident von Serbien, Slobodan Milošević, geplant hatte, spüren die Bewohner Kosovas auch heute noch.

115 Menschen haben ihr Leben bei der Explosion von Minen verloren, die von serbischen Polizei- und Militärkräften und Paramilitärs gelegt wurden. 450 Personen werden wegen Minen ihr Leben lang behindert sein.

Um diese schlimmen Folgen zu verringern, führen die Minenräumer der FSK den Kampf im Terrain weiter, indem sie, eine nach der andern, alle Zonen, in denen Kämpfe stattgefunden hatten, von Minen räumen. Von manchen werden die Spezialisten als “Nachkriegskolosse” bezeichnet.

Die Minenräumer der FSK gelten als die hervorragendsten Entminungsfachleute in der Region. Seit der Zeit nach dem Krieg haben sie ihre Aufgabe sowohl als Angehörige der ehemaligen Verteidigungstruppen Kosovos (TMK) wie als solche der FSK ohne einen einzigen Zwischenfall erledigt. Es gelang ihnen, Tausende von Minen wie faule Backenzähne ohne Unglücksfälle auszugraben.

2013 wurden 2817 Sprengkörper vernichtet

Das albinfo.ch-Team besuchte die Minenräumungskompanie in Prizren. Obschon die Soldaten der Kompanie des schlechten Wetters wegen ihre Mission im Terrain beendet hatten, freut sich in der Kaserne Hauptmann Krasniqi, ein Mann um die 50, über die Arbeit seiner Leute.

“2013 fanden und zerstörten wir 81 Kassettenbomben (Streubomben) und 772 Panzer- und Personenminen. Wir entdeckten zudem 736 Mörser, Raketen und Handgranaten. Total wurden 2817 gefährliche Sprengkörper gefunden”, sagte Hauptmann Krasniqi.

Laut ihm haben die FSK 108’758 Quadratmeter von den berüchtigten Objekten geräumt.

Die Minenräumungskompanie ist, wie er erklärt, ein Verband des Zivilschutzregiments. Sie umfasst 126 Personen in vier Zügen, inklusive die Einheiten für Logistik und für Medizin.

Der Kommandant sagte, in Kosova seien 54 Gefahrenzonen identifiziert worden, und noch  weitere 40 Gebiete würden als minenverdächtig gelten. “Diese Angaben bekommen wir vom Koordinationsbüro”, sagte Krasniqi, laut welchem die FSK dieses Jahr in fünf bombenverseuchten Gebieten gearbeitet haben.

Er sagte ausserdem, dass die FSK 381 Anrufe von Bewohnern mit der Bitte um Identifikation verdächtiger Objekte erhalten hätten.

Die Entminungsfachleute, die Mehrheit von ihnen mit Erfahrung aus dem Krieg der UÇK, wurden während einiger Jahre von amerikanischen, österreichischen und schweizerischen KFOR-Angehörigen trainiert. Seit dem 10. Oktober 2013 arbeiten die Minenräumer der FSK laut Krasniqi unabhängig.

“Unsere Einheiten gelten als äusserst professionell. Unser Verband gilt sogar als der professionellste in der ganzen Region, denn seit der Zeit nach dem Krieg ist uns sowohl als TMK- wie als FSK-Angehörige kein Unfall passiert, und dem ist so, weil unsere Leute verantwortungsbewusst sind und sich an die Regeln halten”, sagte der Hauptmann.

Auch für Auslandeinsätze bereit

Er sagte, seine Equipe sei auch bereit, an Operationen im Ausland teilzunehmen, wenn es das Sicherheitsministerium verlange. Krasniqi erwähnte den grossen Erfolg seiner Männer beim Einsatz in Albanien, in Gërdec, wo ein Munitionslager der früheren albanischen Armee explodiert war.

“Wichtig ist, dass wir darauf vorbereit sind, auch im Ausland zu arbeiten, wenn wir Befehl dazu erhalten”, erklärte Krasniqi, laut welchem auch die NATO die Kompanie der FSK als professionellste der Region beurteilte.

Krasniqi sagte, die Minenräumerinnen und -räumer der FSK brauchten für die Entminung von improvisierten Bomben lediglich zusätzliches Training, während sie für das Unschädlichmachen von aus Kämpfen verbliebenen Sprengkörpern immer bereit seien.

Der Hauptmann der Minenräumungskompanie erklärt für die Bevölkerung, was der Unterschied zwischen Minenfeldern und Schlachtfeldern ist.

„Minenfelder sind vor allem die Grenzzonen, in denen Minen gelegt wurden. Die Schlachtfelder hingegen befinden sich innerhalb Kosovos, dort wo die Kämpfe stattfanden, doch auch dort, wo die NATO bombardierte. Auf den Schlachtfeldern blieben Projektile, Raketen, Granaten, und, am gefährlichsten, Streubomben zurück. Letztere dürfen nicht bewegt werden”, sagte er.

Die meisten Kompaniemitglieder betrachten die Entminung mehr als eine nationale und menschliche Aufgabe denn als eine Quelle für materiellen Gewinn. Die Tagesansätze, zu denen sie arbeiten, sind denn in EU-Staaten auch unvorstellbar.

Ein Minenräumungsspezialist der FSK erhält im Tag acht Euro, womit er zusammen mit dem Grundlohn auf 450 Euro monatlich kommt, doch seine Arbeit betrachtet er als eine Art Roulette, wo ein kleiner Fehler mit dem Leben bezahlt wird.

Nur 8 Euro Tageszulage

“Die Bezahlung ist nach militärischem Grad geregelt, doch für einfache Soldaten ist sie inklusive Tageszulagen nicht höher als 450 Euro”, erklärt Wachtmeister Isa Palushi, laut welchem Tageszulagen nur für die Zeit, wo die Kompaniemitglieder im Terrain sind, angerechnet werden.

In der gleichen Kaserne besuchte das Team von albinfo.ch auch das Trainingszentrum der Minenräumer.

Wachtmeister Palushi, ein ehemaliger Guerilla der nun zur FSK transformierten UÇK, ist gerne bereit, einige Arten von Sprengkörpern, die die FSK im Terrain gefunden hatten, zu erklären. Er sagte, dass diese Trainigsklasse ihre Türen manchmal auch der Bevölkerung öffnet, damit diese ihre Arbeit, aber auch die Kriegsüberreste, die ihnen zur Gefahr werden könnten, kennenlerne.

Gemäss Statistik räumten die ehemaligen Verteidigungstruppen Kosovas und die Sicherheitskräfte Kosovas seit dem Krieg rund 100 Millionen Quadratmeter Bodenfläche und fanden und vernichteten dabei rund 85’000 Sprengobjekte.

Hauptmann Krasniqi sagte, die NATO allein habe während ihrer Bombardierungen in rund 1300 Felder innerhalb Kosovos geschossen.

“Es werden noch einige Jahre vergehen, bis das Land als von jeglichen Überresten des Krieges geräumt erklärt werden kann. In Ferizaj finden wir sogar Sprengkörper aus dem Zweiten Weltkrieg”, erklärte abschliessend Hauptmann Sejdi Krasniqi, der stolz auf die jungen Frauen und Männer unter seinem Kommando ist.

Zum Schluss des Besuchs luden Krasniqi, Palushi und einige andere höhere Offiziere das Team von albinfo.ch in ihre Küche ein, wo eine Equipe dabei war, das Mittagessen für alle Angehörigen der Kompanie zuzubereiten. Auch das Essen in der Armeemensa war sehr gut, und die Wärme, die uns Offiziere und Soldaten während des Besuchs entgegenbrachten, war beeindruckend.

/M.SH/