Karriere auf dem Balkan
Die Rolle der Glaubensgemeinschaften in der kosovarischen Gesellschaft*
Die Religion ist überall ein wichtiger Bestandteil des Lebens für viele Menschen auf der Welt. Auch wenn es unter den Menschen solche gibt, die nicht sehr religiös sind, halten sie die Religion trotzdem für wichtig, während viele andere auch glauben, dass die Gesellschaft ohne Religion nicht funktionieren kann. Der wichtigste Grund, weshalb die Gesellschaft die Religion für notwendig hält, scheint die Tatsache zu sein, dass sie Individuum und Gesellschaft bei Entscheidungen zum eigenen Verhalten hilft.
Die Gläubigen sind auch der Meinung, dass der Glaube den jungen Generationen zu Disziplin und besserer Sozialisation in der Gesellschaft verhilft. Die Glaubensgemeinschaft kann wie jede andere Institution positiven oder negativen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben, je nach Geist und Orientierung, die sie für ihre Anhänger pflegt. Diese sind überall Teil der Gesellschaft und konstitutiver Teil eines Landes und Staates, sowie sie das auch bei uns sind. Sie sind unter uns, leben, arbeiten und teilen Freud und Leid mit allen.
Eine multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft, wie wir es heute sind, vermag keine dauerhafte Stabilität und Frieden zu haben ohne gegenseitigen Respekt, Verständnis, Toleranz und Solidarität. Die Kenntnis der Überzeugung und die Respektierung des seelischen Glaubens des andern sind auch ein göttlicher Auftrag, noch bevor sie menschliche Anliegen und Regeln einer offenen und demokratischen Gesellschaft bilden.
Glaubensfreiheit begreift nicht die Bekämpfung des Nächsten mit ein
Sehr selten oder überhaupt nicht gibt es auf der Welt Gesellschaften, die in ihrer Mitte nur ein einziges Gefühl seelischen Glaubens kennen. Schliesslich gibt es auch innerhalb der Religionen selbst Überzeugungen und Unterüberzeugungen, Fraktionen und unterschiedlich orientierte Sekten. Deshalb muss die religiöse Überzeugung jedes Menschen als freie Wahl des Individuums und niemals als etwas Aufgezwungenes wahrgenommen werden und angenommen werden.
Die Zusicherung der Glaubensfreiheit begreift nicht die Freiheit und das Recht mit ein, in ihrem Namen den anderen zu bekämpfen. Alle müssen verstehen, dass die ethnischen, sprachlichen, gedanklichen, empfindungsmässigen, emotionalen und seelischen Unterschiede unter den Menschen weder unsere willentliche Wahl waren und sind, noch eine Angelegenheit unserer Zuständigkeit waren und sind. In allen monotheistischen Religionen ist die Vielfalt unter den Menschen alt, so wie es auch der biologische Ursprung der Erschaffung des Menschen in seiner ersten Genese ist.
Der erste schöpfungsgeschichtliche Ursprung nach Adam und Eva (albanisch Adem und Hava) ist das wichtigste Element der menschlichen Vereinigung und Brüderschaft, die uns allen als starke Grundlage für gegenseitige Nähe dienen soll. Ausgehend von diesem gemeinsamen Glaubensaxiom sollte deshalb jemand, der an Gott glaubt, unbedingt auch an die erwähnte Unterschiedlichkeit glauben und diese als Wille des Schöpfers betrachten.
Die religiösen Gemeinschaften, die innerhalb einer Gesellschaft wirken, dürfen nicht zulassen, dass ihre Oberhäupter und Anhänger ein Klima der Ausgrenzung und Diskriminierung schaffen und pflegen, sondern sie sollten für die Bevölkerung und ihre eigenen Gläubigen eine Kultur der Annäherung, des Angebots und der Integration entwickeln.
Hass ist schlecht
Hass und Ausgrenzung, Unterwerfung und Verachtung eines anderen Menschen, der nicht dem gleichen Glauben anhängt, ist ein schlechtes, abscheuliches Verhalten, und eines, das in Widerspruch zu den göttlichen Anweisungen des Herrn steht. Bevor bei einem Menschen auf seine Zugehörigkeit und seine innere seelische Überzeugung geachtet wird und man sich nach diesen erkundigt, sollte er als ein menschliches Wesen betrachtet und behandelt werden.
Das Anliegen des Glaubens an Gott ist nicht tot, es ist lebendiger und aktiver als wir uns vorstellen können. Um eine gesunde Glaubensgemeinschaft zu haben, müssen sich deshalb die Bevölkerung und die Gläubigen bemühen, dass die Anführer der Gemeinschaften, denen sie angehören, verantwortungsvolle Menschen mit einem hohen Grad an Bewusstheit und voller Sorgfalt um die Position und die seelische Verantwortung sind, die sie gegenüber den eigenen Anhängerinnen und Anhängern wie auch dem gesellschaftlichen Umfeld, in welchem sie leben und wirken, innehaben.
Die Religion wird überall als Institution des Friedens und der Solidarität gesehen, doch sobald sie missbraucht wird, ist sie nicht mehr Teil des Friedens, sondern der Anarchie. Alle monotheistischen Religionen wollen Frieden, Wohlstand und Respekt der moralischen und menschlichen Werte als ethische Grundlage der gesamten Menschheit.
Die Oberhäupter unserer Glaubensgemeinschaften müssen ihren Gemeinden möglichst nahe stehen, indem sie mit ihnen zusammenleben und ihre Anliegen und Sorgen teilen, und sich gleichzeitig engagieren und vermittels ihrer Erziehungsinstitutionen darum bemühen, dass ihre Gläubigen nicht vom Geist des Hasses und blinder fanatischer Ideologien belastet werden und sich niemals eine feindliche Einstellung gegenüber irgendeinem Menschen aufgrund der religiösen Zugehörigkeit aneignen.
Unsere Jugendlichen und Kinder sollen nebst dem Glauben an Gott auch lernen und glauben, dass Hass und Bekämpfung des Nächsten wegen seiner religiösen Überzeugung Verhaltensweisen und Taten sind, die in Widerspruch zu den Lehren des Herrn stehen, an welche sie glauben, und dem Einzelnen und jeder Gesellschaft, die eine blühende und zivilisierte Zukunft möchte, verboten sind und sanktioniert werden.
Gegenseitiges Aufwiegeln und Provokationen mit tendenziösen Zielen und Hintergedanken, die Hass und Feindschaft erzeugen, dürfen in keiner der Glaubensgemeinschaften in unserem Land zur Tagesordnung zugelassen werden.
Extremistische Ideologien sind religiöse Abweichungen
Hilfeleistungen, Schenkungen und finanzielle Unterstützungsbeiträge, die an Bedingungen geknüpft oder dazu bestimmt sind, nach ausländischen doktrinären und ideologischen Agenden zu handeln, aus welchem Land und welcher Quelle sie uns auch angeboten werden mögen, sollten nicht angenommen werden, denn sie zerstören als solche in jedem Fall die religiöse Harmonie und die Chance auf eine beständige Zukunft, in der unsere Bevölkerung in Frieden und Harmonie leben kann.
Die Glaubensgemeinschaften müssen sich unterschiedslos verpflichten ihren Anhängern klarzumachen, dass Extremismus und radikale Formen von Glaubenspraxis zu keiner gesunden Glaubensrichtung gehören und auch nicht gehören sollen. Religiöse Extremismen aller Religionen sind Abweichungen und Überschreitungen, die sich nicht mit dem richtigen Glauben an den Herrn vereinbaren lassen.
Die muslimische Glaubensgemeinschaft in Kosova als grösste im Land muss aktiver werden, als sie es in den vergangenen Jahren war. Sie muss ihren Gläubigen die gesunden Glaubensprinzipien bewusst machen, das heisst Glaubensprinzipien, die weit entfernt von irgendwelchen „-ismen“ und individuellen oder Gruppenideologien sind, die im Inland entstehen oder vom Ausland kommen können.
Die Muslimische Gemeinschaft Kosovos (Bashkësia Islame e Kosovës – BIK) muss darauf bestehen, dass ihre leitenden Köpfe respektive ihre Imame und die ihr zur Verfügung stehenden Bildungs- und Erziehungsinstitutionen weiterhin den traditionellen islamischen Mittelweg verfolgen, der bedeutet, weder radikal noch extrem zu sein. Um einen solchen Geist zu fördern, muss die Institution der BIK regelmässig Podiumsgespräche, Seminare und Konferenzen mit ihren Imamen und Mitarbeitern organisieren, mit dem Ziel, diesen ihre religiöse Verantwortung, die ihnen anvertraut wurde, und das Gewicht ihrer Worte in der Öffentlichkeit ihres Umfeldes, in welchem sie leben und wirken, bewusst zu machen.
Xhabir Hamiti ist Professor an der Fakultät für Islamstudien in Prishtina.
*Die in diesem Beitrag geäusserten Gedanken geben die Ansicht des Autors wieder und entsprechen nicht zwingendermassen der Meinung der Redaktion.
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