Integration
Der Rat der Albaner der Schweiz reagiert gegen den Artikel der Weltwoche
In der Ausgabe vom 6. Januar 2022 publizierte die Weltwoche den Artikel mit dem Titel “Heldenvolk der Serben”. Dagegen reagierte der Rat der Albaner der Schweiz am 12. Januar 2022 und liess dem Autor des Artikels folgende Stellungnahme zukommen:
WELTWOCHE
Der aktuellen Ausgabe der Weltwoche konnten wir den Artikel «Heldenvolk der Serben» entnehmen.
Ein schlechter Versuch einer Revision der Geschichte
Dem Autor, welchem als Historiker die Recherche und die faktenbasierte Berichterstattung ein Begriff sein sollte, scheinen im vorliegenden Artikel einige Fakten abhanden gekommen zu sein. Oder er geizt bewusst damit und wirft «alternative Fakten» in den Raum und versucht so die Geschichte zu revidieren. Die Ausführungen im Artikel sind sehr einseitig und es werden nur Quellen erwähnt, die versuchen, die Serben in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, ohne eine ausgewogene Darstellung von beiden Seiten, was der Schlüssel jeder seriösen journalistischen und historischen Arbeit ist.
Bereits daraus wird ersichtlich, dass der Autor sich nicht eingehend mit dem Thema beschäftigt hat, sondern lediglich einen sehr oberflächlichen Artikel schreibt.
In den serbischen Geschichtsbüchern (leider auch in den Schulbüchern) wird die verlorene Schlacht auf dem Amselfeld nach wie vor ironischerweise als Sieg gegenüber den Osmanen gefeiert; die Serben sollen und wollen mit dieser Schlacht damit Europa gerettet haben. Dies obwohl die Schlacht erwiesenermassen die Osmanen gewannen, weshalb Europa sich den Osmanen erwehren musste. Weiter haben in der Schlacht auf dem Amselfeld nicht nur Serben, sondern auch Albaner, Ungaren, Bosnier, Bulgaren gegen die Osmanen gekämpft.
Von einer Rettung Europas sprechen serbische Historiker und nun auch der Autor und die Weltwoche. Seriösen Quellen kann dies mitnichten entnommen werden. Hingegen wird in einigen Quellen erwähnt, dass einer der tragenden Figuren der Schlacht auf dem Amselfeld Milesh Kopili (oder von den serbischen Historikern als Milos Obilic genannt), ein albanisch stämmiger Kämpfer, war, welchem es gelang, Sulltan Murat I zu töten. Mittlerweile sind alle seriösen Historiker darüber einig, dass seine Herkunft unklar ist. Dieses Kapitel der Geschichte, aber auch der ganze serbische Mythos über «Die Schlacht auf dem Amselfeld» wird zum Beispiel durch den englischen Historiker Noel Malcolm in seinem Buch «Kosovo a short history» (1998) dekonstruiert.
Weiter wird der Widerstand der Serben gegen die Osmanen bis im Jahr 1459 als der einzige Widerstand gegen Osmanen in Europa dargestellt. In dieser Zeit leisteten die Ungaren unter der Führung von Janos Hunyadi und die Albaner unter der Führung von Gjergj Kastrioti Skanderbeg, einen erbitterten Wiederstand gegen die Osmanen, was im Artikel natürlich gänzlich verschwiegen wird.
Im Artikel wird die Besetzung von Kosovo und die Verdoppelung des serbischen Territoriums in den Balkankriegen 1913 nur beiläufig erwähnt. Verschwiegen wird, dass die Besetzung Kosovos durch die serbische Armee mit ungeheuerlichen Gräueltaten begleitet war. Dies ist beispielsweise in Leo Freundlichs Schrift «Albanien Golgatha-Anklageakten gegen die Vernichter des Albanervolkes», sehr gut beschrieben und dokumentiert. Dafür gibt es zahlreiche weitere Zeitzeugnisse wie z.B. Briefe serbischer Soldaten an ihre Familien, die diese Verbrechen beschreiben und dokumentieren. Ein anderer Zeitzeuge, Dimitrije Tucovic, ein serbischer Sozialdemokrat und Intellektueller schreibt in der Zeitung «Radnicke novine» (Arbeiterzeitung) oder in seinem Buch «Albansko pitanje» (Albanische Frage, 1910) von einem Völkermord der Serben gegen Albaner. So viel zu Heldentaten.
Das grösste Übel auf dem Balkan der letzten 120 Jahre war der serbische Traum und Trauma eines Grossserbiens. Dieses politische Programm, das so viel Leid auf dem Balkan verursacht hat, ist bestens dokumentiert: 1844-Nacertanje von Ilia Garasanin, 1937-Memorandum von Vasa Cubrilovic über die Vertreibung von Albaner, 1986-Memorandum der serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste, usw.
Der territoriale Anspruch Serbiens gegenüber Bosnien, die politischen Intrigen hinter den Kulissen und die Beteiligung des serbischen Militär-Geheimdienstes, sind von Christopher Clark in seinem viel beachteten Buch «Die Schlafwandler – Wie Europa in den ersten Weltkrieg zog» bestens beschrieben. Objektiv betrachtet, kann von einer Unschuld Serbiens in diesen Ereignissen keine Rede sein.
Die letzten Balkankriege sind nach wie vor so jung, dass sich die Mehrheit der davon Betroffenen heute noch selbst sehr gut daran erinnern kann. Die Wunden und die Gräueltaten sind heute noch so frisch, dass sie nach wie vor den Alltag vieler Betroffenen beherrschen. Zudem lassen die Berichte von namhaften internationalen Organisationen keine Zweifel daran, wer das Opfer und wer der Täter in den letzten Balkankriegen war, weshalb nachfolgend der Fokus auf diese Zeit gelegt wird.
Gemäss dem Autor des besagten Artikels könne zwischen Opfer und Täter betreffend den Balkankriegen nicht unterschieden werden. Hätte der Autor, welcher für eine Zeitschrift tätig ist, die von sich behauptet, seriösen Journalismus zu betreiben, sich tatsächlich die Mühe gegeben, lediglich summarisch zu recherchieren, so wäre es auch ihm erhellt, wer der Aggressor und Kriegstreiber – und somit der Täter – und wer das Opfer war. Nachfolgend helfen wir dem Autor mit einigen unumstösslichen Tatsachen weiter.
Die albanische Bevölkerung hat gegen das mörderische Regime von Slobodan Milosevic und für die Freiheit gekämpft.
Für Kosovo war das letzte Jahrhundert gekennzeichnet von Unterdrückung und serbischem staatlichen Terror gegenüber der albanischen Bevölkerung. Dies führte schliesslich zum Aufstand und zum Befreiungskampf der Kosovo-Albaner.
Gegen den Befreiungskampf der Befreiungsarmee von Kosovo (UÇK) reagierte Serbien 1998 und 1999 mit staatlichem Terror, ethnischer Säuberung und Massenmord gegen die albanische Zivilbevölkerung. In diesem Krieg wurden im Kosovo mindestens 10’812 zivile Albaner von der serbischen Polizei, Armee und Paramilitärs ermordet. Weder Kinder noch Schwangere noch ältere Personen wurden verschont. Gemäss UNHCR und OSZE sind über 860’000 Albaner in Kosovo durch die serbische Polizei, Armee, und serbische Paramilitärs ins Ausland vertrieben worden, hinzu kommen weitere hunderttausende Vertriebene innerhalb des Landes. Über 20’000 Frauen wurden vergewaltig – die Dunkelziffer ist dabei viel höher. Fast die Hälfte der Häuser im Kosovo wurden entweder stark beschädigt oder ganz zerstört. Nach wie vor wissen viele Eltern, viele Kinder, viele Geschwister nicht, ob ihre Töchter und Söhne, ihre Mütter und Väter, ihre Geschwister noch leben oder aber in welchem Massengrab in Serbien sich befinden. Nach wie vor fehlt von diesen 1’643 Verschwundenen jede Spur. Drahtzieher, Verantwortliche und ja sogar Täter wurden nie zur Verantwortung gezogen. Sie werden vielmehr vom serbischen Staat geschützt, tragen politische Ämter. Verurteilte Kriegsverbrecher werden als Nationalhelden gefeiert und halten Vorträge in serbischen militärischen Akademien. Das sind alles nicht von der Hand zu weisende Fakten. Stattdessen versucht der Aggressor immer wieder, sich als Opfer darzustellen. Gleiches versucht auch der Autor des besagten Artikels.
Die albanische Bevölkerung in Kosovo wurde systematisch ermordet, vergewaltigt, vertrieben und ihr Hab und Gut zerstört. Ein Genozid gegen unschuldige Menschen (darunter unzählige Frauen und Kinder) in Kosovo wurde verübt (Massaker von Reçak, Izbica, Meja, Krusha e Madhe etc.). Nicht nur in Kosovo fand Genozid statt. Beispielsweise ist an dieser Stelle das weltbekannte Massaker von Srebrenica in Bosnien und Herzegovina zu erwähnen. Die Aufzählung sämtlicher Verbrechen und Massakern, welche von den Serben während den Balkankriegen begangen wurden, würde einige Seiten füllen. Die serbische Regierung leugnet heute noch diese verübten Massaker. Sie huldigen und glorifizieren nach wie vor die dafür verantwortlichen und bereits seitens des Internationalen Straftribunals für Ex-Jugoslawien (ICTY), wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Kriegsverbrecher, wie Ratko Mladic, Radovan Karadzuc, Vojislav Seselj. Auch der für die Gräueltaten Hauptverantwortliche Slobodan Milosevic wurde angeklagt. Nur sein Tod konnte ihn vor einer Verurteilung retten, denn die Beweislage war eindeutig und erdrückend.
Nichts anderes kann von einer Regierung, welche in einer nationalistischen Blase lebt und sich in faktenmanipulierender Weise versucht, sich nun als Opfer darzustellen, erwartet werden. Freilich darf man aber davon ausgehen, dass ein Journalist und ein Wochenmagazin in der Schweiz mit einer relativ grossen Leserschaft seriös mit Informationen um geht, insbesondere wenn es um Fakten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht.
Natürlich ist ein Krieg ungeheuerlich und jedes menschliche Opfer unbegründet und unnötig. Aber der Versuch, alle als gleich schuldig darzustellen, ist ein gefährlicher Geschichtsrevisionismus, da die Zahl der Opfer bei weitem ungleich verteilt sind und die Anzahl der ermordeten Bosnier, Albaner und Kroaten vielfach höher sind. Die Leugnung der Verbrechen aus den letzten Balkankriegen und von allen anderen Kriegsverbrechen, sollte in Zukunft am besten gesetzlich geregelt sein. Nur so können wir uns von einer solchen degoutanten Gleichstellung des Ungleichen und von einer Retraumatisierung der Opfer, die auch in der Schweiz leben, schützen.
Wir sind der Auffassung, dass diese Informationen der Leserschaft des Wochenmagazins Weltwoche nicht vorenthalten werden dürfen und in der nächsten Ausgabe im Sinne einer «Gegendarstellung» publiziert werden sollten.
Mit freundlichen Grüssen
Lurata Reci
Präsidentin
Rat der Albaner der Schweiz
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