Integration
Wer Gesetzen unterworfen ist, soll über diese mitbestimmen können
Mit dem Nein zu jeglicher Lockerung der strengen Einbürgerungsregeln politisiert das Parlament an einer inklusiven Demokratie vorbei. Nun müssen wir Bürgerinnen und Bürger das ändern
Der parlamentarische Weg ist gescheitert. Exponentinnen und Exponenten verschiedener Parteien haben in den letzten Monaten und Jahren versucht, das Schweizer Bürger:innenrecht fairer zu gestalten. Alle mit einem Resultat: Sie waren im Parlament chancenlos. Kein Wunder, denn das Parlament entspricht auch nicht der aktuellen Bevölkerung in diesem Land. Nur die wenigsten mussten selbst eine Einbürgerung durchlaufen. Deshalb haben wir den Verein Aktion Vierviertel ins Leben gerufen.
Dass das Parlament dermassen an einer inklusiven Demokratie vorbei politisiert, ist tragisch, feiern wir doch heuer das 175-jährige Jubiläum des modernen Bundesstaates. Damals war die Schweiz das einzige Land in Europa, in dem die demokratische Revolution erfolgreich war. Die Schweiz wurde so nach den USA zur zweitältesten Demokratie der Welt – zumindest für die Schweizer Männer. Nach dem Motto Stillstand ist Rückschritt geriet die Schweiz jedoch mit den Jahren ins Hintertreffen. So führte die Schweiz das Frauenstimmrecht als eines der letzten Länder in Europa ein. Ähnlich sieht es nun mit der Erlangung des Schweizer Bürger:innenrechts aus. Obwohl die Schweiz eines der vielfältigsten Länder überhaupt ist, hat sie eines der strengsten Einbürgerungsgesetze in Europa. Das ist ein krasser Widerspruch zum demokratischen Selbstverständnis, mit verheerenden Konsequenzen.
Ohne diese Menschen würde unser Land schlicht nicht funktionieren.
Mehr als zwei Millionen Menschen – ein Viertel der Bevölkerung – haben insbesondere wegen dieses restriktiven Einbürgerungsgesetzes keinen Schweizer Pass. Sie sind hier geboren, als Kinder in die Schweiz gekommen oder als Erwachsene eingewandert. Sie sind in der Schweiz zu Hause und haben hier ihren Lebensmittelpunkt. Sie arbeiten hier, zahlen Steuern und sind ein wichtiger Bestandteil dieses Landes und unserer Gesellschaft.
Ohne diese Menschen würde unser Land schlicht nicht funktionieren. Weder in der Pflegebranche (das wurde uns spätestens während der Pandemie deutlich) noch in der Baubranche oder vielen anderen Bereichen. Trotzdem lassen wir diese Menschen nicht mitbestimmen, zum Beispiel darüber, was mit ihren Steuergeldern geschieht. Sie können weder die «Volksvertreter:innen» am 22. Oktober wählen (weil sie offenbar nicht zum Volk gezählt werden), noch können sie sich selbst in die wichtigen Gremien wählen lassen. Wenn sie vollwertige Mitglieder der Schweiz werden wollen und das Einbürgerungsgesuch stellen, so werden ihnen Bedingungen gestellt, welche selbst viele gebürtige Schweizer:innen nicht erfüllen.
Die Schweiz ist bunt, vielfältig und nicht zuletzt auch deshalb erfolgreich.
Das zeigt vor allem etwas: Unser Bürger:innenrecht braucht dringend ein Update. Politische Partizipation zählt zu den Grundpfeilern der Demokratie: Wer Gesetzen unterworfen ist, soll über diese mitbestimmen können. Ein vereinfachter und rascher Zugang zur Staatsbürgerschaft ermöglicht Teilhabe für alle und schafft so die Voraussetzung für eine lebendige und moderne Demokratie. Und wenn dieses Demokratie-Update nicht aus dem Parlament kommen kann, so muss es von der Strasse kommen.
Aus diesem Grund hat die zivilgesellschaftliche Bewegung Aktion Vierviertel eine «Demokratie-Initiative» lanciert. Die Schweiz ist bunt, vielfältig und nicht zuletzt auch deshalb erfolgreich. Nun ist es an uns, dass auch unser Bürger:innenrecht mitzieht. Denn wie sagte schon Mani Matter: Machets, anders wirds nid anders!
Arbër Bullakaj ist Präsident der Aktion Vierviertel und Mitinitiator der Demokratie-Initiative
Erschienen am 15.06.2023 im Tagesanzeiger
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