Integration

Entwicklung dank der Diaspora – realistische Erwartung oder Illusion?

Die DEZA organisierte in Bern eine Diskussion über den Einfluss der Diaspora auf die Entwicklung in den Herkunftsländern und die Erwartungen der verschiedenen Beteiligten

Der Umfang der Überweisungen der Diaspora aus der Schweiz nach Kosova nahm mit der Zeit ab, was auch verständlich ist. Um diesen Trend zu illustrieren, zitierte Kurt Kunz, Leiter des DEZA-Direktionsbereichs Ostzusammenarbeit, zu Beginn der Diskussion eine Studie, die mit Unterstützung der DEZA vor vier Jahren realisiert wurde. “Die Studie zeigte unter anderem, dass nur drei Prozent der überwiesenen Gelder zur Ausbildung von Familienangehörigen verwendet werden. Auch die Bereitschaft für Investitionen ist gesunken und sicher geringer als die diesbezüglichen Erwartungen. Doch Potential besteht nicht nur bei den Überweisungen, sondern auch bei der Professionalität, den guten Erfahrungen aus der Schweiz”, sagte Kurt Kunz.

Indessen lag der Schwerpunkt der vom NZZ-Balkankorrespondenten Andreas Ernst in den Räumlichkeiten der DEZA moderierten Diskussion zum Thema “Diaspora und Entwicklung: Rollen? Potentiale? Herausforderungen?” nicht nur auf Kosovo. Es ging darum, wie die Unterstützung der Diaspora in den Herkunftsländern wahrgenommen wird, was für Beziehungen zwischen der Diaspora, den entsprechenden Ländern und der Schweiz aufgebaut werden, in welchem Mass die Überweisungen der Diaspora die Entwicklung der betroffenen Länder beeinflussen und was für Erwartungen alle an diesem Prozess beteiligten Seiten hegen.

Diese Themen waren Gegenstand eines Podiumsgesprächs mit dem in der Schweiz lebenden tunesischen Schriftsteller und Publizisten Amor Ben Hamida, dem Sozialwissenschaftler, Westbalkanexperten und Direktor der Internetplattform albinfo.ch Bashkim Iseni, dem Unternehmer Edin Dačić, Direktor der im Dreieck Schweiz- Bosnien-Serbien tätigen Firma Daccomet AG, und dem in Migrationsfragen profilierten Nationalrat Andy Tschümperlin.

Auf dem Boden gelandet

Der Unternehmer Dačić berichtete von seinen gemischten Erfahrungen auf dem Balkan: Anfänglich war er enthusiastisch und etwas naiv, dann folgten da und dort Enttäuschungen, um schlussendlich auf dem Boden zu landen, auf der Ebene der Wirklichkeit.

“Anfänglich denkst du, um in deinem Herkunftsland Geschäfte machen zu können, genügt es, dass du die Sprache dort kannst und du meinst, auch die Menschen dort zu kennen. Aber wenn die konkrete Arbeit beginnt, siehst du, dass die Realität viel komplexer ist. Als einer, der aus der Diaspora kommt, siehst du dich einer anderen Mentalität gegenüber, stösst du auf Bürokratie, auf eine andere Wahrnehmung und andere Erwartungen betreffend deine Investitionen “, sagte Dačić. Weitere Probleme sind sodann auch der Mangel an Erfahrung in bestimmten Gebieten, dies vor allem als Folge des  ungenügenden Niveaus der Berufsausbildung in den Balkanländern.

Wie der Schriftsteller Ben Hamida sagt, denken die Tunesier, ihre in die Schweiz ausgewanderten Landsleute lebten im Paradies, im Überfluss und allem nur erdenklichen Wohlstand. Natürlich wissen sie nicht, wie komplex die Sache ist, aber bei der Konstruktion dieser Wahrnehmung “helfen” auch wir ihnen, wenn wir nach Tunesien in die Ferien gehen. Wir zeigen unser Geld, geben es grenzenlos aus etc.

Das Thema von Bashkim Iseni war der Transnationalismus im Zusammenhang mit der Diaspora. “Der Begriff des Transnationalismus entspricht dem Zustand der migrierten Bevölkerungsgruppen am besten, weil dieser Begriff ihre Verbindungen mit der Herkunftskultur  und mit dem Aufnahmeland (Integration) am besten reflektiert. Diese beiden Dimensionen können sehr fruchtbar sein für die Entwicklung des Landes, bedeuten also sehr viel mehr als nur den Transfer von Rimessen, welche oftmals in den Konsum und den Import materieller Güter gehen.” Er stellte die Ergebnisse einer Studie der Universität Neuchâtel vor, zu deren Autoren unter anderen auch Iseni gehört.

Die Herkunftsländer wissen das Potential der Diaspora nicht zu nutzen

“Unsere Forschungsarbeit (des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien an der Universität Neuchâtel) mit der Diaspora von Bosnien und Herzegowina zeigt auf, dass die dortigen Entscheidungsträger das Potential, das die Diaspora birgt, erkennen, aber nicht wissen, wie es zu mobilisieren wäre. Zudem wird die Diaspora als ein Teil der eigenen Nation betrachtet, obwohl sie schon seit langer Zeit ausserhalb des Landes lebt”, sagte Iseni.

Er betonte, dass das finanzielle Potential der Diasporen das intellektuelle Potential und das berufliche und persönliche Netzwerk, über das die Angehörigen der albanischen Diaspora verfügen, verdecke. Deshalb brauche es eine doppelte Aktivität der Schweiz: sowohl gegenüber den Behörden des Herkunftslandes insbesondere auf lokaler Ebene, wo keine Ressourcen zum Erschliessen des Potentials ihrer Diaspora vorhanden sind, aber auch gegenüber der Diaspora, vor allem betreffend deren Organisationsbedarf in der Schweiz, bevor an einen wirkungsvollen Beitrag an die Entwicklung des Herkunftslandes gedacht werden könne.

Für Nationalrat Andy Tschümperlin hängt der Wirkungsgrad der Unterstützung aus der Diaspora für die Entwicklung der Herkunftsländer auch davon ab, wie stark die Integration – und nicht die Assimilation – der jungen Generationen von aus dem Ausland stammenden Eltern hier durch die Aufnahmegesellschaft (die Schweiz) unterstützt wird. Zu den Massnahmen, die diesbezüglich stattfinden, die aber laut ihm noch verstärkt werden müssen, gehört auch die Gewährleistung des ergänzenden Unterrichts in der Muttersprache der eingewanderten Bevölkerungsgruppen. Der Parlamentarier sprach über seine Erfahrungen in diesem Gebiet. In einigen Kantonen gibt es solide Erfolge, in anderen jedoch stagniert die Sache. Es gebe Regionen innerhalb bestimmter Kantone, wo der Staat über einzelne Projekte den ergänzenden Unterricht in den Sprachen der Eingewanderten sogar finanziell unterstütze, sagte Tschümperlin. Er betonte das insgesamt ungenügende Engagement der Schweizer Gesellschaft in diesem Bereich, das den Erwartungen nicht gerecht werde.

Ebenfalls zum Stichwort Erwartungen zeigte Iseni auf, dass auf der andern Seite die Erwartungen und Bedürfnisse der Diaspora nicht mit den Erwartungen der Regierungen und Diasporadepartementen übereinstimmten. Als Beispiel erwähnte er das Problem mit den grünen Versicherungskarten, die Emigranten bei Autoreisen nach Kosova an der kosovarischen Grenze auch heute noch zu kaufen gezwungen sind, was die kosovarische Diaspora masslos ärgert.

 

Mangelhafte Projektbeteiligung der albanischsprachigen Diaspora

Albinfo.ch fragte Richard Kohli, den Leiter des Sektors Westbalkan in der DEZA, zur Beteiligung resp. Nichtbeteiligung der kosovarischen Diaspora an den Projekten, die die DEZA in Kosova durchführt. “Zur Zeit zeigt sich diese Beteiligung nicht in gewünschtem Mass. Wir versuchten ein spezifisches Projekt in dieser Richtung zu entwickeln, aber leider konnten wir es nicht zu Ende führen. Deshalb versuchen wir nun, mit einzelnen Projekten zu arbeiten, wie etwa jenen zur Unterstützung der Berufsausbildung, für die Gemeindearbeit, für das Gesundheitswesen etc., aber nicht mit einem vollständigen Projekt extra für die Diaspora. Was die Beteiligung einzelner Diasporagruppierungen an unseren Projekten betrifft, ist der Beginn der Zusammenarbeit mit einer Vereinigung von albanischen Gesundheitsfachleuten in der Schweiz im Rahmen des Projekts Diaspora for Development (welches abgebrochen wurde) zu erwähnen”, sagte Richard Kohli gegenüber albinfo.ch.

B.SH.