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Andreas Schieder: Westbalkan gehört zu Europa

“...Kosovo hat seinen Teil der Aufgaben erfüllt, jetzt muss sich auch die Union an ihr Versprechen halten. Das ewige Hinhalten hat zu Recht für viel Frustration in der Bevölkerung gesorgt und schwächt die europäischen Kräfte im Land. Das dürfen wir als EU nicht länger in Kauf nehmen”, sagt für albinfo.at der österreichische Europaabgeordnete Andreas Schieder

Der langjährige ehemalige Klubchef der SPÖ Andreas Schieder ist in der albanischen Kommunität weniger bekannt als in der österreichischen Politik, obwohl er sich stark für die Unterstützung und Integration der Balkanländer in die EU einsetzt. Der charismatische Politiker entdeckte schon früh sein Interesse für die Politik außerhalb der österreichischen Landesgrenze. Er sorgte zunehmend für Pflege der Kontakte auf internationaler Ebene. Seit 2019 ist Andreas Schieder Abgeordneter zum Europäischen Parlament, Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten. Darüber hinaus ist er Vorsitzender der Delegation im Gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Nordmazedonien.

Bemerkenswert ist sein Einsatz für den gesamten Westbalkan, insbesondere mit Augenmerk auf die Stabilität, Bekämpfung der Kriminalität und Integration sowie Aufnahme der Balkanländer in die EU.

Sie sind Delegationsleiter der SPÖ im EU-Parlament und gleichzeitig ein herausragender Kenner des politischen Umfeldes im Westbalkan. Bei dem EUWestbalkan-Gipfel am 06.10.2021 wurde betont, „…dass die Fähigkeit zur Integration neuer Mitglieder in die EU auch eine Weiterentwicklung der Union selbst voraussetzt.“. Was bedeutet das konkret?

Das heißt, dass die EU auch vor dem Hintergrund eines zukünftigen Beitritts der Länder des Westbalkans in der Lage sein muss, schnelle und effiziente Entscheidungen zu treffen. Und das ist ja schon heute nicht im ausreichenden Maß der Fall. Denken wir nur an die Außenpolitik. Es passiert immer wieder, dass durch die Blockade einzelner Mitgliedstaaten, die EU zu Themen globaler Tragweite schweigt. Und auch die Beitrittsverhandlungen von Albanien und Nordmazedonien werden immer wieder aufgrund von nationalen Einzelinteressen verzögert. Das muss sich ändern, in dem wir in viel mehr Bereichen auf Mehrheitsentscheidungen setzen.

Wie wird seitens der EU begründet, dass die Beitrittskandidaten Albanien, Nordmazedonien sowie der Kosovo weiterhin keine absolute Klarheit über ihre Chancen bezüglich deren Beitritt haben?

Es gibt keine schlüssige Begründung, das ist das Problem. Deshalb setze ich mich für mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Beitrittsprozesses ein.

Sie haben oft betont, dass z.B.: Nordmazedonien und Albanien geliefert haben und nun für diese Länder die Glaubwürdigkeit der EU sinkt. Wenn aber die Glaubwürdigkeit darunter leidet, wird das entstandene Vakuum von anderen Großmächten wie Russland, China und Türkei gefüllt. Warum sollten die Länder dennoch der EU weiterhin Glaubwürdigkeit schenken?

Der Westbalkan gehört zu Europa. Und in der Bevölkerung der Länder am Westbalkan ist die Zustimmung zur europäischen Integration überwältigend. Auch in der EU sollten sich also alle genau überlegen, was eine Hinwendung zu Russland oder China für uns bedeuten würde. Die Reformen zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz könnten sich dann nämlich in gänzlich andere Richtung entwickeln.

Foto: Alissar Najjar

 

Für Albanien lauten die Kriterien zum Beitritt, Stabilität der Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten. Wo steht Albanien im Moment?

Albanien hat in den wichtigen Bereichen Justiz, Verwaltung und im Kampf gegen die organisierte Kriminalität große Fortschritte gemacht. Die EU muss sich jetzt ihrerseits an gemachte Zusagen halten und den offiziellen Startschuss für die Beitrittsverhandlungen geben.

Die Visafreiheit der Kosovarinnen wird vehement blockiert und verzögert, Sie meinen der „Zweite-Klasse-Status“ soll beseitigt werden. Inwiefern hat der Kosovo die Visafreiheit verdient und warum?

Die jungen Menschen wünschen sich ein Heranrücken an Europa. Wir müssen ihnen entgegenkommen und endlich die Visaliberalisierung einführen. Diese ist für den Kosovo längst überfällig. Kosovo hat seinen Teil der Aufgaben erfüllt, jetzt muss sich auch die Union an ihr Versprechen halten. Das ewige Hinhalten hat zu Recht für viel Frustration in der Bevölkerung gesorgt und schwächt die europäischen Kräfte im Land. Das dürfen wir als EU nicht länger in Kauf nehmen.

Sie haben vor ein paar Monaten ein Treffen mit dem kosovarischen Premier Albin Kurti abgehalten. Wie bewertet die EU die Arbeit der neuen kosovarischen Regierung?

Der Kosovo braucht vor allem politische Stabilität und muss innenpolitisch ein enormes Reformprogramm absolvieren. Ein zentraler Punkt ist aus EU-Sicht auch die konsequente Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Das sind riesige Aufgaben, aber ich glaube Albin Kurtis Regierung hat den politischen Willen sowie den notwendigen Rückhalt in der Bevölkerung, um die notwendigen Schritte zu setzen.

Die Instabilität des Westbalkans ist ein sehr heißes Thema, das die Weiterentwicklung stark belastet. Selbst nach 22 Jahren nach Ende des KosovoKrieges gibt es Spannungen zwischen Kosovo und Serbien. Wie könnte die Stabilität seitens der EU unterstützt werden?

Die EU muss darauf hinwirken, dass sich sowohl in Serbien als auch im Kosovo eine politische Kultur durchsetzt, die auf Kompromiss und Dialog setzt.

Ab August 2021 sollten eine Million Dosen Covid-Impfungen an die sechs Balkanstaaten gehen. Ist das schon geschehen? Wie hat die EU während der Pandemie die Länder unterstützt?

Die EU unterstützt den Westbalkan beim Kampf gegen das Coronavirus durch die Bereitstellung von medizinischem Material und Impfstoffdosen, sowie auch finanziell und organisatorisch. So sind mit Stand September 2021 über 640.000 Testkits und über 13 Millionen Schutzmasken an die Länder des Westbalkan geliefert worden. Die EU hat bereits über 41 Millionen Euro an direkten Hilfszahlungen überwiesen, und weitere 385 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Mittels der Europäischen Investitionsbank sollen zusätzlich 1,7 Milliarden Euro an günstigen Krediten zur Verfügung stehen. Die EU hat bereits über zwei Millionen Impfstoffdosen (Biontech/Pfizer & AstraZeneca) an die Länder des Westbalkan gespendet.

 

Welche politischen Ratschläge würden Sie den Politikern in Albanien, Nordmazedonien und Kosovo mitgeben?

Es braucht keine guten Ratschläge, sondern ein Begegnen auf Augenhöhe und mit Respekt. Ich hoffe, die Zukunft dieser Länder liegt in Europa und ich werde versuchen, dafür einen Beitrag zu leisten.

 

Autor: Migena Ostermann