Meinungen
Das Gespenst der Eskalation
Kosovo soll geteilt werden, entlang ethnischer Grenzen. Das schlugen serbische Regierungsmitarbeitende letzte Woche vor. Diese Forderung hat bereits reale Auswirkungen – negative, selbstverständlich
Vor wenigen Tagen erreichte mich eine E-Mail einer Friedensorganisation aus Kosovo, mit der ich seit Jahren eng verbunden bin. Die Aktivistinnen und Aktivisten haben von den Gerüchten gehört, dass die Gebiete im Norden Kosovos gegen Gebiete in Südserbien getauscht werden sollen, so, dass die im Nordkosovo lebenden Serben und in Südserbien lebenden Albaner mit «Ihresgleichen» leben können.
Meine Kolleginnen und Kollegen sind entsetzt ob solcher Vorschläge. Denn sie sind es, die Tag für Tag daran arbeiten, die Gräben der Vergangenheit zu schliessen. Gerade organisieren sie zum zweiten Mal ein Festival in den Bergen, BREfest. «BRE» steht für Brezovica, ein Skiresort in den Sharr-Bergen in Kosovo.
Das internationale Festival fokussiert auf den Erhalt der Bergwelt, auf die Natur und die Diversität der Kulturen in der Region. Grenzen rundherum spielen dabei entschieden keine Rolle, vor allem keine ethnischen. Das mag kitschig und nach Gutemnschentum klingen. Doch was letztes Jahr auf diesem Berg geschah, glich einem Wunder.
Der Berg ohne Grenzen
Für wenige Tage lebten Menschen dort das, was ansonsten im Alltag leider an vielen Orten in Kosovo und auch Serbien undenkbar ist: man begegnete sich, teilweise auch zum ersten Mal überhaupt. Es kamen Albaner aus den umliegenden Gemeinden und dem ganzen Land, Roma, Gorani (eine der Minderheiten des Kosovo), Serben aus Kosovo, Serben aus Serbien und auch jemand, der im Krieg aus Kosovo nach Serbien hatte flüchten müssen und nun zum ersten Mal zurückkehrte. Leute aus geteilten Städten, Enklaven, durch den Krieg homogenisierten Gemeinden. Während des Tages gab es Workshops, am Abend Musik und Schnaps. Lieder in allen Sprachen ertönten, Serbisch, Albanisch, Romani – und Englisch selbstverständlich. Auch Lieder, die im ehemaligen Jugoslawien populär waren. Neue Freundschaften, Romanzen und Projekte entstanden. Damit wurde der Name BREfest auch seiner zweiten Bedeutung gerecht. «Bre» steht für «brate», Bruder.
Wegen der aktuell kursierenden Teilungsideen haben bereits mehrere Leute aus Serbien ihre Teilnahme am diesjährigen Fest und dazugehörigen Jugendaustauschprojekt abgesagt – aus Angst, dass die Situation eskalieren könnte.
Böses Spiel mit der Angst
Denn für die Menschen sind die Ängste, die solche Teilungsideen und das mediale Echo dazu auslösen, real. Auch der Krieg, den sie erlebt haben, war real und die Angst vor dem nächsten haben viele noch nicht überwunden. Und so sind auch die Absagen real. Sie sind direkte Folgen von kalkulierten, egoistischen Machspielen der politischen Elite.
Die besagten jungen Menschen aus Serbien werden also nicht nach Brezovica reisen. Sie werden danach zuhause nicht erzählen, was sie erlebt haben. Ihre serbischen Freunde in der Schule werden keine positiven Geschichten aus Kosovo hören – das hätte vielleicht das erste Mal sein können, dass das passiert wäre. Sie werden dann nicht überlegen, nächstes Jahr auch dort hin zu fahren und sich einer Friedensorganisation anschliessen, in ihrem eigenen Kreis aktiv werden und weitere aus ihrem Umfeld motivieren, den Austausch zu suchen, Vorurteile und Stereotypen abbauen, die sie von Medien und Politik zu hören bekommen.
Für diejenigen, die am Fest und am Austausch teilnehmen werden, bedeuten die Absagen ein paar potenzielle Freundschaften und Perspektiven weniger. Auch das ist schade.
Und es ist anzunehmen, dass die paar wenigen Teilnehmenden des Jugendaustausches nicht die einzigen sind, die sich verunsichert, frustriert oder verängstigt fühlen.
Auch wenn die Teilungsgerüchte andernorts in Kosovo der guten Stimmung keinen Abbruch tun – zum Beispiel am internationalen Dokumentarfilmfestival Dokufest: Die Politiker und ihre Gefolgschaften in Belgrad und Pristina täten mehr als gut daran, ihren Machtkampf nicht schon wieder auf dem Buckel ihrer Bürger auszutragen.
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