Die Diaspora und die Unabhängigkeit: zwischen Hoffnungen und Illusionen
9 Jahre Unabhängigkeit: Träume der Diaspora und die Realität
Vor neuen Jahren erklärte das kosovarische Parlament Kosova für unabhängig. Als Teil und treibende Kraft der politischen Prozesse in Kosova hat die kosovarische Diaspora Erwartungen an diesem Ereignis historischen Ausmasses gehabt. Welche Erwartungen hat die Diaspora konkret an der Unabhängigkeitserklärung geknüpft und wie sieht die Realität aus der Perspektive der Diaspora – neun Jahre danach […]
Vor neuen Jahren erklärte das kosovarische Parlament Kosova für unabhängig. Als Teil und treibende Kraft der politischen Prozesse in Kosova hat die kosovarische Diaspora Erwartungen an diesem Ereignis historischen Ausmasses gehabt. Welche Erwartungen hat die Diaspora konkret an der Unabhängigkeitserklärung geknüpft und wie sieht die Realität aus der Perspektive der Diaspora – neun Jahre danach – heute aus? Um mehr hierüber zu erfahren, hat albinfo.ch mit mehreren Landsleuten verschiedener Berufsgruppen gesprochen.
Die Optimisten
Musa Kamenica, Politologe
Auch wenn es viel zu langsam geht, gewinnt die internationale Subjektivität von Republik Kosova von Jahr zu Jahr an Substanz. Beispiele sind die Mitgliedschaften in internationalen spotlischen Organisationen und das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU. Das was besorgniserregend ist, ist die Tatsache, dass die territoriale Integrität von Kosova auch neuen Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung durch Serbien gefährdet wird – so geschehen bei einer Reihe von Provokationen in den letzten Monaten. Ich denke, dies ist die Folge des mangelnden Führungsswillens seitens der EU bei der Lösung von territorialen Problemen in der Region und eine Folge der politischen Unsicherheit bezüglich des Willens der EU, die Westbalkanstaaten in die EU zu integrieren. Dieses Vakuum nutzt nun Russland. Der Einfluss von Russland insbesondere in Serbien ist deutlich zu sehen.
Neuen Jahre nach der Unabhängigkeit kämpft Kosova mit einer enorm hohen Arbeitslosigkeit, Armut und hoher Korruption. Das Land braucht eine funktionierende Wirtschaftsstrategie und einen harten Kampf gegen die Korruption. Dies würde ein besseres Klima für ausländische Investitionen schaffen. Nur so kann die tiefe wirtschaftliche und soziale Krise bekämpft werden.
Die Skeptiker
Shqipe Bytyçi Kajtazi, Architektin
Ich hatte natürliche Erwartungen: Aufbau, Ausbau und Entwicklung der Staatlichkeit in allen Segmenten und im gesamten Territorium des Landes – nicht mehr und nicht weniger. Logischerweise gab es Schwierigkeiten und Herausforderungen. Doch wir müssen feststellen, dass das kosovarische Parlament es nicht geschafft hat, seine Funktion als Gesetzgeber und als Kontrollinstanz für andere Institutionen auszuüben. Kosova braucht tiefgreifende Reformen – Demokratisierung der politischen Parteien von oben nach unten und umgekehrt, Reformen in der staatlichen Struktur und bei den Nichtregierungsorganisationen. Vielleicht würde eine Strategische Nationale Kommission, die die Arbeit der Parlaments begleitet, bewertet und unterstützt, eine Lösung aus der Krise zeigen.
Ali Sulemani, Politiker
Die Unabhängigkeiterklärung sollte der Startschuss für den Aufbau der Staatlichkeit sein, der den Kosova-Albanern sowohl in Kosova als auch in der Diasproa die Würde zurückgeben würde, die für lange Zeit mit Füssen getreten wurde. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man sagen kann, ich komme aus einem Land, das ein Staat ist.
Während sich Politiker bereichern, lebt die überwiegende Mehrheit der Kosova mit grosser Unsicherheit, unter extremer Armut und leidet an Perspektivlosigkeit. In Kosova sind wir “die Ausländer”, wir zahlen alles und sichern den sozialen Frieden. Es gibt nicht einmal öffentliche Verkehrsmittel vom Flughafen Prishtina, wir zahlen immer noch hohe Gebührung und Tribut, wenn wir mit kosovarischem Pass durch Serbien fahren, und warten stundenlang an Grenzübergängen. Wir, die unsere Heimat verlassen haben, haben Glück gehabt, sagen die Verblieben in Kosova.
Përparim Avdili, Banker und Politiker
Neun Jahre nach Erklärung der Unabhängigkeitserklärung sucht Kosova immer noch den Weg, wirklich unabhängig zu sein. Das ist ein schwieriger Weg, es ist aber nicht unmöglich. Die Zentralregierung kann ihre Macht nicht in allen Teilen des Landes durchsetzen. Abgesehen davon scheinen die Machthaber, nicht genau zu wissen, wo die Grenzen des Landes tatsächlich sind. Die Abhängigkeit von Kosova ist auch in der hohen Arbeitslosigkeit und in einer politischen Mentalität, die der Vergangeheit gehört, begründet. Wenn man kosovarisches Fernsehen schaut, dann kann man es kaum glauben, dass der Krieg fast 20 Jahre zurückliegt. Politik wird immernoch auf der Basis der Krieges gemacht. Natürlich muss die Vergangenheit einen erhenhaften Platz finden. Man muss Gerechtigkeit für die Opfer und Vermissten sicherstellen; wir müssen die Befreier und Kämpfer der Freiheit ehren. Doch ich glaube fest daran, dass dies besser gelingen kann, wenn sich die Politik und die Gesellschaft mehr auf die Zukunft des Landes konzentrieren als auf die Leistungen der Vergangenheit. Leider hat die Gesellschaft in Kosova keine politische Mentalität schaffen können, die sich der wirtschaftlichen Entwicklung, Schaffung neuer Arbeitsplätze und Rechtsstaatlichkeit widmet. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es das Engagement von allen Seiten – vom Staatschef bis zum einfachen Bürger, der die Strassen in seinem Dorf nicht nur nicht sauber hält, sondern auch noch vermüllt. Die Bürger müssen verstehen, dass auch Deutschland in Trümern lag und innerhalb weniger Jahrzehnte zur Weltmacht aufstieg. Natürlich hat auch der Marshall-Plan geholfen – aber Gelder aus dem Ausland fehlen Kosova wahrlich nicht. Kosova hat ein einormes wirtschaftliches Potenzial und eine junge Bevölkerung. Jetzt müssen wir entscheiden, welche Zukunft wir für das Land wollen und was wollen wir der kommenden Generation hinterlassen. Wir müssen uns jetzt an die Arbeit machen. In diesem Sinne wünsche ich Kosova ein unendlich langes Leben. Glückwunsch.
Kështjella Pepshi, Politikerin und Model
Bevor die Unabhängigkeit erklärt wurde, habe ich erwartet, dass die Staatlichkeit von Kosova von vielen Staaten der Welt anerkannt wird. Und dies ist auch geschehen. Doch die Realität in Kosova ist bitter. Die institutionellen Prozesse stecken fest, die Korruption ist sehr hoch und es herrscht grosse Armut in weiten Teilen der Bevölkerung. Die Demarkation der Grenzelinie zu Montenegro, die Lage im Norden des Landes in der Stadt Mitrovica und nun die neu errichtete Trennmauer sind Folgen des Missmanagements in den Institutionen des Landes. Das alles hat die Lage sehr verschlechtert.
Die Pessimisten
Demë Shala Çeku, Arbeiter, Gewerkschafter
Ich habe erwartet, dass mit der Erklärung der Unabhängigkeit die staatlichen Sektoren funktionieren werden, um die Bedürfnisse der Bürger zu erfüllen. Die Realität in Kosova ist leider bedauerlich. Kein Bereich des Staates funktioniert wie es sich gehört. Das einzige, was mich feut, ist die Tatsache, dass die serbischen Besatzer nicht mehr unser Land beherrschen. Vom Rest bin ich absolut enttäuscht.
Pal Shtufi, Pädagoge
Meine Erwartungen entsprechen wahrscheinlich den Erwartungen der Mehrheit. Ich habe Liebe und Verantwortung für das nun befreite Vaterland erwartet. Ich habe erwartet, dass man Möglichkeiten dafür schafft, dass die Diaspora in Kosova investiert. Doch unsere Hoffnungen waren vergebens. Die Macht haben sich Ignoranten an sich gerissen, ohne Kultur und Verantwortungsbewusstsein für den Staat. Diese Menschen haben das Übel zur gesellschaftlichen Norm gemacht. Das Mögliche ist nicht annährend erreicht. Die fehlende Bereitschaft der UCK-Kommandanten, die Politik den Politikern zu überlassen, hat den Aufbauprozess am Rand der Havarie getrieben. Die Regierenden haben unsere Träume zerstört. Das Schlimme ist, dass auch die Opposition keine echte Alternative bietet. Vielleicht wäre eine Partei, die stark von der Diaspora getrieben und unterstützt wird, die Lösung.
Xhemail Ferizi, Politologe
Wir haben gehofft, dass nach der Erklärung der Unabhängigkeit, Kosova ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und eigenständig geführt wird, wie dies die Bürger des Landes verdienen. Wir haben viel mehr erwartet als erfüllt wurde: Sicherheit, Bewegungsfreihet im gesamten Territorium, Integration des Nordens und Stadt Mitrovica, wirtschaftliche Entwicklung, Rückgang der Arbeitslosigkeit, höhere Investitionen in Kultur, Bildung, Gesundheit, bessere Unterstützung von sozial Benachteiligten und einen besonderen Augenmerk auf die Diaspora. Neun Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung können wir jedoch nicht stolz auf das Erreichte sein. Es sind zwar einige Investitionen in Infrastruktur gemacht worden. Doch das Land hat im Kampf gegen Korruption, Arbeitslosigkeit, Vetternwirtschaft, organisiertes Verbrechen sowie auf dem Weg in die euroatlantische Integration versagt. Infolge der politischen Vernachlässigung befindet sich die Gesellschaft in kollektiver Depression und Hoffnungslosigkeit.
Njomëza Gutaj, Ökonomin
Die Unabhängigkeit wird instutionelle Stabiltät bringen und Bedingungen schaffen, unter denen die Menschen in Kosova ihr Potenzial nutzen können und einen akzeptablen Lebensstandard erreichen können, habe ich gehofft. Im Jahr 2017 sieht die Wirklichkeit allerdings ganz anders aus: die Korruption bis in den untersten institutionellen Ebenen in Kosova ist wir ein Tumor. Wir müssen diesen Tumor bekämpfen, wenn wir das Land heilen und eine positive Entwicklung ermöglichen wollen. Dies ist meine Hoffung für die kommenden Jahre.
Osman Sadiku, Migrationsexperte, Politiker
Ich habe nicht erwartet, dass es leicht wird. Dennoch habe ich nicht geglaubt, dass wir moralisch so abstürzen. Das Hauptproblem sehe ich bei der Beanspruchung der Macht durch die “Befreier” im Namen der UCK. Die Realität und die Erwartungen liegen so weit auseinander. Und der Traum der Unabhängigkeit lebt dennoch weiter. Zu keinem Zeitpunkt dürfen wir diesen Traum aufgeben.
Mërgim Balaj, Busfahrer
Ich habe gehofft, dass mit der Unabhängigkeitserklärung nun die Grundpfeiler für Rechtsstaatlichkeit und glaubhafte Institutionen für die Bürger gelegt werden. Ich habe auf eine ernste und seriöse Leistung der Politiker und Entscheidungsträger gegenüber der Bürger und der internationalen Gemeinschaft gehofft. Und neun Jahre danach herrscht aber grosse politische Instabiltät, das Gesetz wird nicht durchgesetzt, die Sicherheit ist in allen Bereichen porös. Ausländische Investitionen und aus der Diaspora fehlen. Und in der Folge haben wir eine Stagnation in der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Erfolge überschauber.
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